Russische Volksmaerchen
zusammengeheftet und immer nur auf einer Seite bedruckt. Die Buchstaben sind unregelmäßig und sehr undeutlich und nähern sich den slavonischen Schriftzügen; die Schreibung ist fehlerhaft. Nicht selten werden zwei Worte in eins zusammengezogen, oder zusammengehörige Buchstaben mitten in der Silbe von einander gerissen und mit den nächststehenden Worten verbunden. Die Interpunktion fehlt ganz. Durch diese Uebelstände wird das Lesen dieser Schriften ungemein erschwert und verlangt zu leichterem Verständniß viel Uebung und Bekanntschaft mit der Sprache. Die zweite Gattung unterscheidet sich von dieser nur dadurch, daß Bilder und Text nicht auf einzelne Blätter, sondern auf einen ganzen Bogen in gleichmäßig vertheilte, umränderte Felder gedruckt sind. In dieser Form erscheinen indessen nur sehr wenige Märchen, welche mit den Zeichnungen den Umfang eines Druckbogens von gewöhnlicher Größe nicht überschreiten. Beide Arten, als die ursprünglichen und ältesten, werden in Rußland erneuert und vervielfältigt, ohne daß es dazu einer besondern Erlaubniß der Censurbehörde bedürfte, da man sie als unantastbares Eigenthum des Volkes betrachtet. Darum findet man auch bei keinem dieser Blätter den Druckort und äußerst selten das Druckjahr angegeben. Die Bilder sind ohne Sorgfalt gearbeitet, fast nie ausgemalt und unterscheiden sich von den Holzschnitten, welche manche deutsche Volksbücher zieren, nur durch einen feineren Strich, wie ihn die Kupferplatte selbst dem flüchtigen Arbeiter möglich macht. Unverkennbar ist darin das Streben, die Kleidertrachten und Sitten einer älteren Zeit auch in den äußeren Formen wiederzugeben. Außer diesen beiden stereographischen Gattungen gibt es nun noch eine dritte typographische, welche sich von den gewöhnlichen russischen Drucken nicht unterscheidet und mit einem besonderen Titelblatte ohne Bilderverzierungen in Oktavheften ausgegeben wird. Man findet darauf den Druckort, die Jahreszahl und den Namen des Druckers, der bei gewöhnlichen Schriften, da es in Rußland keine eigentlichen Verlagshandlungen gibt, immer genannt werden muß, willkürlich angegeben oder weggelassen. Sowohl die stereographischen als die typographischen Drucke sind durchgängig neu und scheinen, wenigstens bei den Ausgaben, die mir unter die Hände gekommen sind, nicht über einige Jahrzehende zurückzugehen.
So sehr ich mir auch in Moskwa Mühe gegeben habe, über den Ursprung und das Alter dieser Märchen bestimmte Nachrichten einzuziehen, so konnte ich doch nirgends genügende Auskunft erhalten; Niemand wußte zu sagen, wie und woher sie unter das Volk gekommen seien. Es leidet indessen keinen Zweifel, daß ein großer Theil dieser Volkssagen einer sehr frühen Zeit angehört. Die ältesten Personen gedenken ihrer als alter Ueberlieferungen, und ihre allgemeine Verbreitung unter den höheren wie unter den niedern Ständen war wohl auch nur in einem langen Zeitraume möglich. Der Stil in ihnen ist zwar durchgängig neu; das kann aber bei prosaischen Erzählungen, welche eine lange Reihe von Jahren blos durch mündliche Ueberlieferung fortgepflanzt und erst in neuerer Zeit niedergeschrieben wurden, nicht befremden. Sie verlieren allmälig ihre ursprüngliche Form; Jeder erlaubt sich nach seiner Eigenthümlichkeit, daran zu ändern, wegzulassen oder hinzuzufügen nach Gutdünken, um die Zuhörer so angenehm als möglich zu unterhalten, ihre Theilnahme zu erwecken und ihre Aufmerksamkeit zu spannen. Bei der Einfachheit, welche das gemeine russische Volk in seinen Sitten bis auf die Gegenwart bewahrt hat, und bei dem geringen Einfluß, welchen das Ausland auf dieselben ausübte, konnte die Volksthümlichkeit dieser Märchen darunter durchaus nicht leiden, und die einzige Folge davon war nur, daß sich von manchen derselben doppelte und mehrfache ziemlich verschiedene Bearbeitungen vorfinden. Demnach haben sich in vielen von ihnen und zwar besonders in denen, welche dem romantischen Ritterthume angehören, einige stehende Redensarten erhalten, die sich aus jener Fabelzeit herschreiben und deren ursprüngliche geschichtliche Bedeutung Niemand mehr zu erklären weiß; ja einige der gangbarsten Volkssagen werden so oft wiederholt, daß sie ein Erzähler den andern beinahe mit denselben Worten und Ausdrücken nacherzählt. Zwar begegnet man diesen Redensarten auch mitunter in unbestreitbar neueren Märchen; denn man hat selbst Anekdoten vom Auslande entlehnt, ihnen das Gewand der Märchen
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