Russische Volksmaerchen
bei seinen Worten und sprach: »Es ist mir nöthig, Menschen zu sehen und mich ihnen zu zeigen, und wenn es geschieht, daß ich den Thron besteige, darf ich daran schon nicht mehr denken, sondern nur, wie ich das Volk anständig beherrschen soll.«
Als Zar Elidar und Zarin Militissa so gute Worte hörten von ihrem Sohne Ljubim, waren sie überaus erfreut, und erlaubten ihm zu reisen, doch nicht auf lange Zeit und nur unter der Bedingung, daß er sich mit Niemandem einlasse und sich in keine großen Gefahren begäbe. Und so sann er, als er entlassen war, wo er ein Ritterroß für sich finden und eine Ritterrüstung sich verschaffen sollte, und darüber nachsinnend ging er in die Stadt. Dort begegnete ihm eine alte Frau und sagte zu ihm: »Warum gehst du so traurig, mein lieber Ljubim Zarewitsch?« – Er mochte darauf keine Antwort geben und ging bei der alten Frau vorbei, ohne ein Wort zu sagen; aber dann bedachte er, daß alte Leute ja mehr wissen müssen, kehrte um, ging fort und holte die alte Frau ein, die ihm begegnet war. Und Ljubim Zarewitsch sprach zu ihr: »Ich habe es bei dem ersten Begegnen verschmäht, dir zu sagen, worüber ich bekümmert bin; aber im Weitergehen fiel mir ein, daß alte Leute mehr wissen müssen.« – »Das ist's eben, Ljubim Zarewitsch,« sprach zu ihm die Alte, »freilich soll man nicht vor alten Leuten fliehen. Sage, worüber grämst du dich denn? Sag' es mir, dem alten Mütterchen.«
Und nun sagte Ljubim Zarewitsch zu ihr: »Ich habe kein gutes Roß und keine Ritterrüstung, aber ich muß weit reisen und meine Brüder aufsuchen.« – Die Alte gab ihm darauf zur Antwort: »Was soll man denken? Es ist ein Roß und eine Ritterrüstung auf eurer verbotnen Wiese hinter zwölf Thüren, und dieses Roß liegt an zwölf Ketten. Dort auf der Wiese ist auch ein Schlachtschwert und eine ganze Ritterrüstung.« –
Als Ljubim Zarewitsch dieses gehört und der Alten Dank gesagt hatte, ging er äußerst erfreut gerade auf die verbotene Wiese. Als er an den Ort kam, wo das Roß stand, war er unschlüssig: Wie soll ich diese Thüre zerbrechen? Allein er versuchte es und zertrümmerte eine Thüre, und das Roß erkannte durch den Geruch einen tüchtigen Jüngling und fing an seine Ketten zu zerreißen, und es zerriß sie alle, und so zerschlug Ljubim Zarewitsch drei Thüren, und das Roß zertrümmerte die letzten. Darauf erblickte Ljubim Zarewitsch das Roß und die Ritterrüstung, legte die Ritterrüstung an und ließ das Roß auf die Wiese. Er selbst aber ging zu seinem Vater, dem Zaren Elidar, und zu seiner Mutter, der Zarin Militissa, und sprach folgende Worte: »Nach der Entlassung von euch war ich sehr traurig wegen eines Rosses und einer Ritterrüstung, da ich nicht wußte, wo ich sie hernehmen sollte. Aber eine alte Frau sagte und zeigte mir, wo ich dies Alles finden könnte, und so habe ich es gefunden. Jetzt aber bitte ich euch um euren Segen zur Reise.« Darauf gaben ihm die Aeltern den Segen und er reiste ab auf seinem guten Rosse.
Er begab sich auf den Weg und kam an einen Ort, wo drei Wege zusammentrafen; in der Mitte aber stand eine Säule und auf ihr befanden sich drei Inschriften, welche lauteten, wie folgt: »Wer auf die rechte Seite geht, der wird satt sein, aber sein Roß wird hungern; wer aber gerade aus geht, der wird selbst Hunger leiden und sein Roß wird satt sein, und wer auf die linke Seite geht, der wird von dem geflügelten Wolfe getödtet werden.« – Ljubim Zarewitsch überlegte und ging zu Rathe, und er wurde mit sich einig, auf keine andere Seite zu gehen, als auf die linke, um entweder getödtet zu werden oder den geflügelten Wolf zu tödten und denen, welche diese Straße zogen, Freiheit zu geben. Und so ging er auf die linke Seite und reiste weiter auf der Straße. So gelangte er in das freie Feld, schlug sich ein Zelt auf und machte Halt, um auszuruhen, als er plözlich im Westen den geflügelten Wolf fliegen sah. Ljubim Zarewitsch stand sogleich auf, legte seine Ritterrüstung an und setzte sich auf das Roß. Und Ljubim Zarewitsch traf zusammen mit dem geflügelten Wolfe, und der Wolf schlug Ljubim Zarewitsch mit seinen Flügeln so schmerzlich, daß Ljubim Zarewitsch nachdenkend wurde, aber er ließ sich nicht aus dem Sattel werfen. Da ergrimmte Ljubim Zarewitsch und ward hitzig und schlug den geflügelten Wolf mit seinem Schlachtschwerte, daß er halb todt auf die Erde fiel und fühlte, sein rechter Flügel sei verletzt und er könne nicht mehr fliegen.
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