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Russische Volksmaerchen

Russische Volksmaerchen

Titel: Russische Volksmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Dietrich
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umgehängt und eine ältere Form zu geben versucht; allein sie lassen sich meistens leicht von den älteren unterscheiden, und bei vielen kann man ohne Schwierigkeit den Ursprung nachweisen. Herr Iwan Michailowitsch Snegiroff, Professor an der Universität zu Moskwa, welcher sich ein besonderes Geschäft daraus macht, alle geistigen Erzeugnisse des Volkslebens, als Lieder, Märchen, Sprichwörter u. s. w., zu sammeln, wissenschaftlich zu ordnen und kritischer Untersuchung zu unterwerfen, wurde mir als der Einzige genannt, bei dem ich, wenn irgendwo, die gesuchten Aufklärungen über den Ursprung und das muthmaßliche Alter dieser Sagen erhalten könnte. Trotz der humanen Zuvorkommenheit, mit welcher er sich zu jeder ihm möglichen Mittheilung gegen mich bereitwillig erklärte, sah er sich zu dem Geständnisse genöthigt, daß er bis jetzt in seinen Forschungen nicht glücklich gewesen sei, und daß er es bei der Umwandlung, welche diese Volksdichtungen ohne Zweifel im Laufe der Zeiten erfahren, für unmöglich halte, über deren Entstehung und Abstammung zu einem bestimmten Ergebnisse zu gelangen.
    Zu einer kurzen Entwickelung des innern Wesens und der dichterischen Bedeutung dieser Märchen, wenn sie erst in vollständigerer Sammlung mehr Uebersicht gewähren, hat ein Freund Hoffnung gegeben, dessen wissenschaftlicher Thätigkeit Untersuchungen dieser Art näher liegen, als der meinigen. Eigenthümlich ist es, daß in diesen Sagen die Zahl drei fast überall vorherrscht. Die Väter haben gewöhnlich drei Söhne, die Helden oder fahrenden Ritter ziehen durch drei Mal neun Länder in das dreißigste Königreich (erst drei Mal drei, dann drei Mal neun, zuletzt drei Mal zehn); einige der tapfersten und berühmtesten Ritter sind drei und dreißig Jahr alt, wenn sie die Laufbahn des Ruhmes betreten, und gelangen in ihren Unternehmungen erst beim dritten Versuche zum Ziele u. s. w. Die Söhne, welche von bejahrten Aeltern nach einer bis in's angehende Alter unfruchtbar gebliebenen Ehe geboren werden, erscheinen immer als eine besondere Gabe der Gottheit, welche endlich das Flehen der Eheleute erhört und gleichsam, um sie für die lange Entbehrung der älterlichen Freuden zu entschädigen oder sie als ein besonderes Gnadengeschenk zu bezeichnen, ihnen Söhne gibt, welche nicht nach Tagen, sondern nach Stunden wachsen und sich durch Heldensinn und Riesenstärke hervorthun. Andre sind bis in's drei und dreißigste Jahr gelähmt; dann entwickelt sich plözlich ihre Kraft und ruft sie in das Feld der Ehre. Reiter und Roß bilden, wie bei allen ungebildeten berittenen Völkern, gleichsam eine Person. So lange der Ritter kein seiner Kraft angemessenes Roß gefunden hat, wagt er nicht zum Streit auszuziehen; ebenso duldet das Roß keinen Reiter auf sich, der ihm nicht gewachsen ist. Sobald sich der Held dem fest hinter Schlössern und Riegeln verwahrten Rosse nahet, erkennt es ihn am Geruche, geräth in die höchste Unruhe, tobt und lärmt und stürzt sich ihm entgegen. Er beweist ihm dann seine Kraft, indem er ihm seine Hand auf den Rücken legt und es drückt, daß es auf die Knie fällt. Von nun an sind Roß und Reiter Eine Person. Es streitet mit seinem Herrn und wirft mehr Feinde zu Boden, als er selbst; es versteht seine Worte, ja es redet wohl auch selbst mit Menschenstimme.
    Nun nur noch wenige Worte zum Verständniß einiger oft wiederkehrenden Einzelheiten. Die Redensart: durch drei Mal neun Länder in das dreißigste Reich, soll nur eine weite Entfernung bezeichnen. Die geschichtliche und geographische Bedeutung, die ihr wol zum Grunde liegen mag, konnte ich nicht ermitteln. Die sprüchwörtliche Redensart: er ging lange oder kurze Zeit, nahe oder fern, soll blos die Ausdehnung des Raumes und die Länge der Zeit, in der sie durchmessen wurde, ungewiß lassen. Königliche verbotene Wiesen wurden die Wiesen genannt, die dem Landesherrn angehörten und deren Gebrauch den Unterthanen streng verboten war. Wenn Fremde in das Land kamen, pflegten sie zuerst von diesen Wiesen Besitz zu nehmen und ihre Zelte auf ihnen zu errichten, was als Kriegserklärung und Anfang der Feindseligkeiten galt. Unter dem sadonischen Reiche verstand man die jenseit des Don von der Mitte des eigentlichen Rußlands aus gelegenen Länder. Der Ausdruck: hinter den stillen Wässern und warmen Meeren, bezeichnet die südlichen Gegenden Europa's, Italien, Sicilien und die benachbarten Länder, die man für das Paradies der Erde hielt, und deren

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