Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
Vom Netzwerk:
gegen die Wand. Sehe Dubinin an, der kerzengerade vor mir steht und dem Priester den Weg versperrt, falls dieser auf die Idee kommen sollte, fliehen zu wollen. Der schnurrbärtige Hauptmann ist kleiner als ich und ohne Zweifel weniger ungehobelt. Die Aggression, die wie eine schwarze Aura von mir ausgeht, macht die Leute nervös, was mir manchmal durchaus die Arbeit erschwert. An seiner Haltung und dem schlauen Funkeln in seinen Augen sehe ich, dass er zu den wenigen Auserwählten des Generals gehört - wahrscheinlich ist er sogar einer der Kandidaten für meine Nachfolge und wartet nur auf den Tag, an dem ich unter Maxims Stiefel gerate oder vom nächstbesten Kamil erdrosselt oder von einem rutschigen Anleger unter dem Arsenal in die Moskwa gestoßen werde, wenn ich dem General nicht mehr von Nutzen bin.
    »Schneiden Sie den Stein auf«, sage ich zu meinem jüngeren Doppelgänger.
     
    Das heulende Sägen des Metallblatts durch den Stein nehme ich kaum wahr. Ich sitze zurückgelehnt auf Sofias Bett und denke nach. Dubinin hockt neben mir und sieht den Soldaten bei der Arbeit zu. Die Säge läuft kreischend aus. Ein schwerfälliger Sergeant zieht sein Hemd aus, spuckt in die Hände und greift nach einer Spitzhacke.
    »Vorsichtig«, warne ich ihn.
    Der Sergeant zuckt zusammen, als er meine Stimme hört. Dann klopft er zaghaft weiter wie ein müder Paläontologe. Die anderen Soldaten nehmen ebenfalls ihr Werkzeug zur Hand. Ich hole Vadims Pillen raus, ein Haufen glatte, bunte Dinger, die in meine hohle Hand passen. Dubinin wirft mir einen Blick zu, den ich als missbilligend interpretiere. »Lecken Sie mich am Arsch, Hauptmann«, sage ich, woraufhin er mich mit offenem Mund anstarrt. Vielleicht habe ich mich in seinem Blick getäuscht.
    Das Hacken der Männer gleicht einem wellenförmigen Pinselstrich, der immer wieder aus meinem fiebrigen Blickfeld tritt. Plötzlich holt der Sergeant scharf Luft und alles hält inne. Dubinin richtet sich federnd aus der Hocke auf, marschiert durch den Raum und schaut den knienden Männern über die Schulter. Auf sein Zeichen hin graben sie mit den Händen weiter. Als er zufrieden ist, setzen sich die Männer auf den Hintern und warten auf weitere Order.
    »Es ist eine Metallkiste«, sagt Dubinin zu mir. »Lang, breit und flach.«
    »Holen Sie sie raus. Vorsichtig.«
    Die Kiste gleitet heraus. Das flache Metall glänzt an den Stellen, an denen die Hände der Soldaten den Staub abgewischt haben. Die Kiste ist fast neu, wenn auch ein wenig zerkratzt. Sie sieht aus wie ein übergroßes, von einer Metallschnalle verschlossen gehaltenes Portfolio. Versiegelt mit schwarz gummiertem Dichtungsband. Einer der Männer putzt den restlichen Dreck sorgfältig mit einer feinen Bürste weg. Dubinin sieht mich fragend an.
    »Öffnen Sie sie«, sage ich.
    Der Deckel klappt nach hinten.
    Als Dubinin die Luft einzieht, weiß ich, dass ihr fünfhundert Jahre alter Zauber auch ihn gefangen genommen hat. Ich klettere aus dem Bett und hocke mich neben die offene Kiste. Leda leuchtet in ihrer ätherischen Schönheit. Vielleicht beeinträchtigen die Drogen in meinem Blut meine Wahrnehmung, aber ihre Augen scheinen mich in ihre Schilfrohrwiese zu locken, als würde ein Schritt in den Chiaroskuro-Abgrund mich in friedliche Wärme hüllen.
    »Ähem.« Dubinin räuspert sich und holt mich aus meinem Tagtraum.
    Sofias Gemächer schwimmen in kaleidoskopischen Farben, die nicht weggehen wollen, egal wie oft ich mit den Augen blinzle. Also drücke ich sie fest zusammen und lasse meine Finger über den knorrigen Eichenrahmen gleiten, um mich an das alte Gefühl heranzutasten.
    Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal über die groben Kanten strich, in den Katakomben unter der Eremitage, und genau wie jetzt dachte, dass der Rahmen viel dicker ist als nötig. Ich öffne die Augen. Zwinkere. Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, dass auf der Unterseite etwas hinzugefügt wurde. Das Material unterscheidet sich nicht merkbar vom Originalrahmen, und durch den Alterungsprozess ist es mit Da Vincis Eiche zusammengewachsen, aber jetzt, da ich weiß, wonach ich suche, kann ich den Unterschied sehen. Vielleicht musste der Rahmen so dick sein, damit die Leda hinter dem Mignard versteckt werden konnte. Vielleicht befindet sich aber außer der Leda noch etwas in dem doppelten Rahmen. Was auch immer die Wahrheit ist, wir werden eine qualifizierte Einrichtung, Fachleute und Spezialwerkzeug brauchen, um sie

Weitere Kostenlose Bücher