Russisches Abendmahl
bekannt.«
»Und?«
Fedun geht wie auf Stelzen zum Schreibtisch, zieht eine Schwenkarmlampe näher in Richtung Tisch, knipst sie an und schlägt das Tuch zurück. Auf dem Tisch liegt eine flache Platte. Die Platte ist fast ganz von drei vergilbten Dokumenten unter einer Glasscheibe bedeckt. Eins davon sieht von Weitem aus wie die Faktura, die Lipman mir im Newa-Café gezeigt hat. Die anderen beiden sind ebenfalls handgeschrieben, scheinen aber Seiten aus einem alten gerichtlichen Dokument zu sein.
»Über Leda und der Schwan sind Sie ja bereits informiert«, sagt Fedun mit einem Blick auf mich. »Die anderen Seiten sind ein Vertrag - ein Kaufvertrag für König Ludwig über den Entwurf vom Abendmahl . Sofia Alexejewna muss das Bild zusammen mit der Leda vom französischen Hof erworben haben.«
Feduns Lippen bewegen sich weiterhin übertrieben wie die einer Figur aus einem alten Stummfilm.
Dubinins Hand auf meinem Arm lässt mich zusammenfahren. Wie ist er so nah an mich herangekommen? , frage ich mich. Der General dreht sich zu mir um. Seine Arme sind ausgestreckt wie die von Jesus auf dem Gemälde, aber mich erinnert er eher an Judas und dessen geheuchelte Überraschung, als Jesus erklärt, man werde ihn verraten. Und während ich den Gedanken weiterspinne, frage ich mich, ob dreißig Silberstücke genügen, um den General zu kaufen.
51
Ich wache allein in meinem Bett im Loft auf und frage mich, wer mich hier hergebracht hat. Wenn es jemand anderes als der General oder Vadim war, muss ich mir ein neues Zuhause suchen. Das sollte ich sowieso, beschließe ich, denn dieser Ort steckt voller Erinnerungen an Valja.
Ich spritze mir Wasser ins Gesicht und gehe ans Fenster. Vormorgendliches Licht scheint hinein. Die Gasse unter mir ist übersät mit Müll, aber menschenleer. Ich beschließe, zum Roerich-Museum zu laufen.
Der Spaziergang dauert fast eine Stunde, aber der Schmerz wirkt reinigend, und mein verletztes Bein hält durch. Auf dem Weg dorthin wähle ich die Nummer des Generals, aber es geht niemand dran. Ich rufe Vadim an.
»Du lebst also noch«, sagt er ohne Einleitung.
»Was ist los?«
»Nichts«, sagt Vadim und schweigt dann, während ich überlege, was es zu bedeuten hat, dass der General sich nicht meldet.
»Wir treffen uns vor dem Roerich-Museum«, sage ich zu ihm und lege auf.
Die Außentreppe zum Labor ist ein angenehmes Versteck, um auf Vadim zu warten. Inzwischen ist es Morgen geworden und auf den Straßen mehr los. Ein stechendes Brennen kriecht in das ausgehöhlte Loch in meinem Bein. Der Rest meines Körpers ist eiskalt.
Ein Polizist stolziert auf der anderen Straßenseite den Bürgersteig entlang. Ich muss an Juri denken, wie er seinen Knüppel schwingt, er war immer so stolz auf seine Stellung und jetzt ist er tot. Ein weiterer Polizist kommt dazu - eine Frau, wie ich dem wiegenden Gang entnehme. Sie blicken in meine Richtung und sehen schnell wieder weg.
In mir klingelt eine Alarmglocke, die mein Herz rasen lässt und meine Sinne schärft. Ich verlagere mein Gewicht auf das gesunde Bein, fahre mit der rechten Hand in die Manteltasche und greife nach der Sig. Zwei große Männer in gegürteten braunen Mänteln bahnen sich einen Weg durch die belebte Straße. Anders als alle anderen Passanten gehen sie aufrecht und schauen direkt nach vorn, ohne einen Blick für das, was um sie herum passiert.
Die Tür hinter mir ist abgeschlossen. Mindestens vier Polizisten patrouillieren die Straße. Es ist wie bei Kakerlaken, wenn man vier sieht, sind auf jeden Fall noch einige mehr unterwegs. Ich springe über das Geländer, lande hart mit einem schmerzerfüllten Knurren und taumle bis zur nächsten Ecke. Die Typen in den Mänteln ziehen in meine Richtung wie zwei Haie durch einen Thunfischschwarm. Die Polizistin öffnet den Mund zu einem Schrei. Zu spät. Ich bin schon um die Ecke, fast weg - und laufe direkt in die Arme von Viktor, dem Polizeichef.
»Hallo, Volk«, sagt er und lässt ein Paar verchromte Handschellen um das Ende seines langen ausgestreckten Fingers wirbeln. Auf seinen Lippen liegt ein siegessicheres Lächeln. Ein Zahn ist zigarettengelb angelaufen.
Die braunen Mäntel sind da. Ein Rothaariger legt mir die Handschellen an und zieht sie knirschend fest, bis das Metall auf meine Knochen drückt. Viktor packt mich am Ellbogen und führt mich zu einem wartenden Polizeibus. Der Atem strömt wie Nebel aus seinem Mund. Er riecht nach Lucky Strikes.
»Ich verhafte dich wegen Mordes an
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