Russisches Abendmahl
schlechte Kopie des Schah-Diamanten. Der Echte liegt fünf Straßen weiter in der Rüstkammer des Kreml und wird besser bewacht als Putin.«
Das ist gelogen. Der Echte ist nicht mehr da. Er war ursprünglich ein Geschenk an Zar Nikolaus I, als Wiedergutmachung für den Tod eines russischen Diplomaten, der in den 1820er Jahren in Teheran ermordet wurde. Berühmt ist der Diamant unter anderem deshalb, weil all die unglücklichen Besitzer, deren Namen darin eingraviert sind, starben, als er in ihrem Besitz war. Knapp neunzig Karat in ungeschliffener Form. Drei Jahre zuvor hatte er unter meiner Mithilfe eine symbolische, wenn auch nicht publik gemachte Reise zurück nach Persien angetreten. Er wurde der Kunstsammlung eines verwöhnten Saudi-Prinzen übergeben, im Tausch gegen eine finanzielle Unterstützung meines Hauptarbeitgebers, der russischen Armee. Eine bessere Fälschung als diese hier liegt unter permanenter Bewachung in der Diamantensammlung des Kreml hinter Glas.
»Siehst du?«, sagt er. »Du kennst dich aus mit dem Scheiß.«
»Jeder Tourist kennt den Schah-Diamanten.«
Er lehnt sich vor, soweit sein muskelbepackter Körper es ihm erlaubt, und stützt sich mit den stämmigen Ellbogen auf meinen Tisch, der ächzt aber hält. Wie viele alte Möbelstücke in Moskau, ist auch mein Tisch von kalten Gulag-Händen robust gebaut worden. »Und was wenn ich dir sage, dass ich den Echten kriegen kann, ohne dass jemand es merkt?«
»Das kannst du nicht. Du verschwendest meine Zeit.«
»Hör zu.« Er legt sein breites Gesicht in Falten. »Wir haben Leute da drinnen. Soldaten, die die Schnauze voll haben von Putins Kapitalismus. Die kriegen gerade mal so viel wie bei der Stütze, während Typen wie wir reich werden. Sie schnappen sich den Diamanten und ersetzen ihn durch den Falschen. Denk doch mal nach. Das Scheißding liegt den ganzen Tag unter Glas, genau wie der gottverdammte Lenin. Wer weiß, ob das, was da drunter liegt, echt ist? Wen interessiert’s? In fünf Jahren guckt ihn sich irgendein Wichser aus der Schweiz unterm Mikroskop an und schlägt Alarm. Und dann ist es zu spät, um zurückzuverfolgen, wer wann was getan hat.«
Ich sage, dass es so einfach nicht sein wird, obwohl es das war.
»Kümmere du dich einfach um deinen Job«, sagt er.
»Was ist mein Job?«
»Ihn an den Mann zu bringen.« Gromow dreht auf, er zittert und ist offensichtlich aufgebracht. »Du bist doch so dicke mit dieser Schwuchtel, diesem Nigel Bolles.« Er spricht den Namen Nigel mit verächtlich spitzen Lippen aus. »Er soll dir ein paar Leute in London oder New York oder sonst wo nennen und uns helfen, jemanden zu finden, der zu viel Geld hat.«
»Ich bin nicht dabei.«
Gromow fällt die Kinnlade runter. »Warum nicht?«
»Hab ich doch schon gesagt. Ich arbeite mit niemandem zusammen. Außerdem schätze ich, dass deine Chancen, den Echten da raus zu kriegen, bei null liegen.«
Pochende Adern arbeiten unter dem Haarschatten, der seinen riesigen Schädel verdunkelt. »Warum machst du es uns so verdammt schwer, Volk? Das ist jetzt das dritte Mal, dass ich dir ein Geschäft vorschlage. Und jedes Mal sagst du, ich soll mich verpissen.« Er lässt seine enormen Schultern kreisen, als wolle er sich unter seinem Mantel Platz verschaffen. »Es wird mir allmählich zu eng hier. Kaum drehe ich mich um, bist du da. Du stehst mir im Weg.«
Er hat recht damit, dass unsere Geschäfte sich überschneiden, zumindest was den Teil betrifft, über den er informiert ist - Drogen, Datendiebstahl, Pornographie und die Vermittlung heiratswilliger russischer Mädchen an Männer aus der Mittelschicht in den USA und in europäischen und asiatischen Industrienationen. In Russland gibt es zehn Millionen mehr Frauen als Männer, eine der Auswirkungen der ewigen Kriege und Säuberungen. Zudem hat Russland schon immer mehr importiert als exportiert. Ich denke, das Geschäft mit den Mädchen gleicht beides aus.
Gromows Interessen kollidieren in mehrerlei Hinsicht mit meinen, obwohl er im großen Stil Kinderprostitution und andere Dinge betreibt, von denen ich die Finger lasse. Aber er hat keinen Grund, sich deswegen Sorgen zu machen, weil auf diesem kleinen Straßenabschnitt unterhalb des alten Lubjanka-Gefängnisses genug für uns beide da ist, und weil wir dank des Internets weltweit agieren können.
»Sei doch nicht so borniert, Gromow.«
»Was zum Teufel bedeutet das?«
»Das heißt, dass wir gut miteinander klar kommen, solange du dich aufs
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