Russisches Abendmahl
Nummer auf dem Nokia.
»Neuigkeiten?«, fragt der General.
»Nein.«
Er sagt nichts. Sein rasselnder Atem klingt nach Erkältung.
Frustriert und übermüdet stelle ich die Frage, die mich am meisten beschäftigt. »Woher wusste Maxims Mann, dass ich herkommen würde?«
»Dasselbe wollte ich dich auch fragen«, brummt der General.
Was kann ich dazu sagen? Er lügt. Er hat mich zu Strahow geschickt, der für Maxim arbeitete. Er und Maxim haben mich beauftragt, die Politiker zu beseitigen, jeder einen, damit beide etwas gegeneinander in der Hand haben. Und dieselbe Nonne, die mich ins Kloster ließ, hat auch Posnowa und dem ukrainischen Frosch die Tür geöffnet. Das sind die Verbindungen, die mir bekannt sind, was bedeutet, dass es ohne Zweifel noch viele andere gibt. Ich bin absolut allein.
»Ich finde die Bilder«, sage ich, aber der General hat schon aufgelegt.
46
Der Anblick des kaputten Fahrstuhls in Maschas Wohnblock bringt mich fast zum Weinen. Der Aufstieg dauert eine Ewigkeit. Ich schleppe mein verwundetes Bein den polierten Flur entlang, vorbei an den bunten Fußmatten bis zu ihrer Tür. Während ich warte, lehne ich meinen Kopf auf den Arm gestützt gegen den Rahmen und falle fast hinein, als sie öffnet.
Sie fängt mich auf. »Du siehst furchtbar aus«, sagt sie und führt mich zum Korbstuhl.
Während ich ihr mein Anliegen vortrage, setzt sie Wasser auf, zerhackt Blätter und wirft sie zusammen mit einem undefinierbaren Pulver in den Kessel.
»Du brauchst einen Arzt, keinen Blick in die Zukunft«, sagt sie.
»Ich war schon schlimmer verletzt. Ich werde es überleben.«
Sie rümpft die Nase. »Lass mich wenigstens dein Bein säubern.«
»Nein. Das ist nicht die Hilfe, die ich jetzt brauche, Mascha.«
Sie wendet sich wieder dem Tee zu und wirft irgendeine weitere blättrige Substanz hinein.
Als das Gebräu fertig ist, gießt sie einen Becher voll, reicht ihn mir und sieht zu, wie ich das heiße Getränk in fünf Schlücken austrinke. Es schmeckt gleichzeitig süß und sauer und hinterlässt ein brennendes Gefühl in meinem Mund. Sie nimmt mir den Becher aus der Hand und stellt ihn wieder auf ihre kleine Arbeitsplatte zurück.
»Ich merke nichts«, sage ich ein paar Minuten später.
Sie ignoriert mich und füllt den Kessel erneut mit Wasser. Wirft Kräuter hinein. Süßliche Dampfwolken durchziehen die kleine Wohnung. Die feuchte Wärme tut gut, als wäre ich in ein heißes Handtuch gewickelt. Sie löscht alle Lampen, bis auf eine am Bett, über die sie eine bräunliche Decke legt. Ein schwaches gelbbraunes Licht dringt hindurch. Ihr tänzelnder Schatten verschwimmt mit ihren schwebenden Bewegungen. Ich kann die Konturen nicht länger auseinanderhalten.
Meine Verletzungen müssen die Oberhand gewonnen haben. Ein tosendes Rauschen wie ein entferntes Meer klingt in meinen Ohren. Gleichzeitig verwandelt sich das Kratzen ihrer Holzschuhe in lautes Donnern, und ihre Stimme klingt, als säße sie direkt in meinem Kopf.
»Ich glaube nicht, dass ich das, was du suchst, in deiner Hand lesen kann.«
Mit Mühe halte ich die Augen offen. Sie trägt ein unförmiges orangefarbenes Kleid, das wie Küchenpapier raschelt, wenn sie sich bewegt. Das Orange wird zu flüssigem Gold, im selben Rhythmus wie das Rauschen in meinen Ohren.
»Ich kann nur sehen, was sowieso schon in deinem Kopf ist. Selbst dann …«
Ich kann sehen, wie ihre Stimme verschwindet, wie eine Schlange, die sich wellenförmig in den Nebel schlängelt. Der Gedanke, dass ich stärker unter Drogen stehe als die Junkies unten auf der Straße, dringt in mein Bewusstsein vor, aber meine Reaktion darauf ist gelangweilt bis gleichgültig. Die Drogen sind wie Zauberranken, die durch die Ritzen in meinem Gehirn dringen. Es kommt mir vor, als würde ich auf einem sich langsam dahinwälzenden Strom treiben.
Die Haut ihrer Hände erinnert an vertrocknete Maisblätter - braun, faltig, von Sonne und Alter gegerbt. Aber die Innenflächen sind weich, wenn sie meine rechte Hand darin hält - zwei Blütenblätter um ein zu großes Stück Fleisch gewickelt, das ist das Bild, das mir dazu einfällt, genau wie beim ersten Mal vor Monaten. Bald spüre ich eine strahlende Wärme, als glühten die Spiralen einer versteckten Heizung wie blankes Kupfer unter ihrer Haut.
»Alexei«, sagt sie leise und verträumt.
Ihr für gewöhnlich kratziges Timbre klingt jetzt rauchig weich, wie aus dem Hals einer jungen Frau statt dem einer verwelkenden, kettenrauchenden
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