Rywig 04 - Die Glücksleiter hat viele Sprossen
lange ich geschlafen hatte, als ein seltsames Geräusch mich weckte. Ich stand lautlos auf und schlich auf nackten Füßen zum Fenster. Es hörte sich an, als weidete eine Kuhherde da draußen auf dem Rasen.
Es war stockfinster. Als meine Augen sich daran gewöhnt hatten, sah ich die Umrisse von etwas Großem, Gewaltigem - es war irgendein Tier, das sich bewegte - ein Tier, das da eine nächtliche Mahlzeit genoß -
„Heiko! Du mußt wach werden! Komm und guck!“
Er kam, strubbelig und verschlafen. Dann holte er die Taschenlampe vom Tisch und richtete den Strahl auf das Große, Dunkle da draußen.
„Menschenskind! Das ist ja ein Flußpferd!“
Wie wirkte das Tier doch enorm groß jetzt, wo wir es auf etwa fünf Meter Abstand hatten. Es ließ sich durchaus nicht durch den Lichtstrahl stören, auch nicht, als im Nachbarappartement noch eine Lampe aufleuchtete.
Fenster wurden geöffnet. Man hörte gedämpfte Stimmen. Jetzt blitzten und klickten die Fotoapparate.
Das Tier hob den Kopf, schnaubte, warf einen Blick auf die Reihe Appartements mit all den neugierigen Gesichtern. Dann machte es kehrt, zeigte uns sein mächtiges Hinterteil und wanderte gemächlich die steile Böschung runter, zum Ufer des Nils.
„Mensch!“ sagte ich.
„Du irrst dich. Es war ein Flußpferd“, murmelte Heiko und verschwand unter der Bettdecke.
Am folgenden Morgen, als ich auf die kleine Terrasse des Appartements trat, blieb ich stehen und blinzelte. Dies konnte doch nicht wahr sein!
Keine vierzig Meter von mir entfernt stand ein Elefant. Ein enormes Tier mit zwei Stoßzähnen wie überdimensionale Krummsäbel. Es sah ganz friedlich aus, interessierte sich herzlich wenig für mich, desto mehr aber für das Futter, das ihm in eine große, gegossene Zementwanne gelegt worden war.
Da rührte sich etwas hinter ihm - nein, hinter ihr, es war eine Elefantenkuh! Ein ganz kleines Elefantenbaby kam zum Vorschein, fuchtelte ein bißchen mit dem kleinen Rüsselchen, versuchte, etwas von dem Futter zu fassen zu kriegen, überlegte es sich anders und wählte schmatzend und saugend die mütterlichen Milchquellen.
Wieder mußte ich Heiko wecken. Gleich darauf erschienen alle Zimmernachbarn, nur notdürftig angezogen, die Männer unrasiert, die Frauen mit Lockenwicklern und eingefetteten Gesichtern. Herr Braun stand in einem rotgestreiften Schlafanzug und filmte, taub und blind für alles andere. Diesmal konnte ich ihn verstehen. Mit Teleobjektiv müßte er ein formatfüllendes Bild von den Elefantenaugen kriegen können - und von dem Kopf mit den mächtigen Ohren erst recht!
Mir gelang es, eine Aufnahme von dem saugenden Kälbchen zu machen - eine Aufnahme, die ich als Höhepunkt meines Afrikafilmes betrachte!
Ja, dieser letzte Tag vor der Rückfahrt brachte uns eine Sensation nach der anderen. Nach dem Frühstück ging es per Motorboot auf den Nil, und endlich, endlich erlebten wir das, worauf ich mich die ganze Zeit gefreut hatte: Krokodile, richtige, große Nilkrokodile aus nächster Nähe zu sehen!
Sie lagen am Ufer, auf Steinen, im Gras - und vor allem lagen sie auf den Sandbänken der kleinen Insel.
Sie lagen da, ohne sich zu bewegen, mit weit aufgesperrtem Rachen, minutenlang, viertelstundenlang. Daß Krokodile so groß werden konnten!
„Wie häßlich sind sie doch“, sagte ein junges Mädchen vom Wagen III. „Das mit den Leoparden verstehe ich, aber eine Krokodiltasche möchte ich doch haben - wenn sie bloß nicht so schändlich teuer wären!“
„Sagen Sie.“ Es war Frau Robinson, die sprach. „Warum finden Sie die Krokodile häßlich? Welchen Maßstab legen Sie zugrunde, wenn Sie etwas schön oder häßlich finden?“
Das Mädchen sah Frau Robinson unsicher an.
„Ja, finden Sie nicht, daß sie häßlich sind?“
„Durchaus nicht. Und wenn ich es fände, dann würde ich mich selbst fragen, warum. Ein Krokodil ist anders als eine Raubkatze oder eine Antilope, aber wieso häßlich? Meinen Sie, daß der liebe Gott einen Mißgriff getan hat, als er sie schuf? Sollten wir den lieben Gott korrigieren und sagen: ,Nein, dies ist dir nicht gelungen, diese
Viecher schießen wir schleunigst ab und machen Taschen und Schuhe aus der Haut. Meinen Sie es so?“
„Nein - natürlich nicht - aber.“
Nun ergriff unser Professor das Wort.
„Es wäre jammerschade, wenn diese Tierart ausgerottet würde. Es ist oft genug geschehen mit anderen Arten. Und wir dürfen auch nicht vergessen, daß wir, bei sinnlosem oder unüberlegtem
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