Rywig 04 - Die Glücksleiter hat viele Sprossen
Examenspapieren, am liebsten auch einem Doktortitel - mit Führerschein, Pilotenschein, vorzüglichen Englisch- und guten Suahelikenntnissen sich um irgendeine Stellung in Afrika zu bewerben. Ob als Wildhüter oder Wissenschaftler, „Game Warden“ oder Fahrer - , alles würde ihm recht sein, wenn er bloß da unten leben konnte und das Seine zu dem beitragen, was er als seine Lebensaufgabe betrachtete: die Erhaltung der unberührten Natur und der herrlichen Tierwelt.
Jahrelang hatte er zielbewußt gearbeitet, hatte Naturwissenschaft studiert, Englisch glänzend gelernt, den Führerschein für Lastwagen gemacht. Er konnte etwas Suaheli, er hatte vor wenigen Wochen den Pilotenschein gemacht. Nur noch dieses Examen - und dann die Doktorarbeit, dann konnten wir heiraten und unseren Traum verwirklichen.
Aber vorläufig saß ich hier in meinem norwegischen Elternhaus und sehnte mich halbtot!
Nun ja, „saß“ ist vielleicht nicht das richtige Wort. Zum Sitzen kommt man nicht viel, wenn man kocht und wäscht und bügelt und Kleinkinder zu betreuen hat. Die Kleinen sind meine beiden jüngsten Geschwister, Stefan, der zu diesem Zeitpunkt sieben war, und Annettchen, die gerade ihren dritten Geburtstag gefeiert hatte.
Und dann waren noch die Mannsbilder zu versorgen. Vor allem mein vielbeschäftigter Vater, der manchmal nur ganz schnell zwischen einem zu schienenden Bein und einer komplizierten Gallenoperation nach Hause kam, um etwas zu essen, nach dem Rechten zu sehen und seine Frau zu küssen. Dann der fünfzehnjährige Hans Jörgen. Mein ältester Bruder, Bernt, war schon in der liebevollen Obhut seiner jungen Ehefrau Katrin. Aber die beiden wohnten noch in der Unteretage in unserem Haus, so daß die ganze Familie beisammen war.
Nein, nicht die ganze. Senta fehlte uns. Sie lernte Diätkochen an der Universitätsklinik in Kiel, und es läßt sich nicht leugnen, daß ich sie beneidete. Nicht wegen des Diätkochens - das gewöhnliche, alltägliche Kochen genügte mir reichlich - , aber wegen der kurzen Entfernung von Hamburg. Denn in Hamburg saß mein Heiko über seinen zoologischen Büchern.
Abgesehen von Senta waren wir also vollzählig zu Hause. Und die Seele des Ganzen, der feste Punkt, das Zentrum, diejenige, die die ganze häusliche Maschinerie im Gange hielt, das war Beate -unsere Beatemutti, unsere geliebte, junge, fröhliche Stiefmutter. Für Stefan und Annette ist sie die richtige Mutter, aber wir vier „Großen“ lieben sie, als wäre sie wirklich unsere Mutter.
Was biologisch gesehen eine Unmöglichkeit wäre, weil sie nur zehn Jahre älter als ihr ältester Stiefsohn ist!
Übrigens, es war verkehrt, was ich gerade sagte. Nicht wir vier großen. Fünf muß es heißen. Denn meine Schwägerin Katrin liebt Beatemutti genauso abgöttisch, wie wir es tun.
Die liebe, gute, sanfte Beatemutti -
Ich sprang hoch. Ein fürchterlicher Schrei hallte durch das Haus. Ich rannte die Treppe runter.
In der Küche fand ich meine hoffnungsvolle jüngste Schwester vor. Sie brüllte ungehemmt, dicke Tränen kullerten aus ihren blauen Guckern, und sie hielt ihre beiden kleinen Hände fest an ihr Popöchen gedrückt.
„Um Himmels willen, was ist denn los?“
Meine liebe, gute (siehe oben) Beatemutti stand über ihre Jüngste gebeugt und sah im Augenblick mehr tatkräftig als sanft aus.
„Kein Grund zur Aufregung! So, und nun marsch rein mit dir (das letzte war an Annette gerichtet), und wenn du das noch einmal tust, zieh ich dir das Höschen runter! Hast du verstanden?“
„Aber Beatemutti - “ versuchte ich.
„Fang bloß nicht an, sie zu trösten!“ sagte Beatemutti. Sie verfrachtete die brüllende Sünderin ins Wohnzimmer zu ihren Brüdern. „Das kleine Biest weiß genau, daß sie die elektrischen Schalter nicht anfassen darf. Außerdem hatte ich ihr verboten, in die Küche zu kommen. Aber sie ist hinter meinem Rücken reingeschlichen und hat die Küchenmaschine angeknipst - um ein Haar hätte sie die Hand in die Rührschüssel gesteckt. Ein Klaps auf den Hintern ist weniger gefährlich als eine zerquetschte Hand, merk dir das, für den Fall, daß du selbst mal Kinder kriegst!“
Beatemutti wischte sich schnell die Augen.
„Nanu, heulst du?“
„Ach, Quatsch - ich meine: ja, ich tu’s! Glaubst du, daß es Spaß macht, sein Kind zu schlagen? So, das wäre aber erledigt, hoffentlich begreift sie es nun, der Racker. Und daß du mir bloß keine Rede über psychologische Kindererziehung runterleierst. Ich
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