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Saat des Himmels

Saat des Himmels

Titel: Saat des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Zuhörer
feststellten, an welcher Stelle er von früher vorgetragenen
Versionen abwich, und man ihn nötigen konnte, die neue
Darstellung zu begründen. Aber dieser Ibrahim war im
Gegensatz zu Mahmid in der Welt herumgekommen, oder
er verstand es wenigstens, glaubhaft für Jussup, einen
derartigen Eindruck zu erwecken. Er schilderte die Gräuel
okzidentaler Heerscharen, schwärmte von prachtvollen
Palästen, wusste von wundersamen Erscheinungen,
beschrieb Nöte der Menschen in Katastrophen und
Epidemien. Aber erforschte auch geschickt Jussups
Herkommen aus, er fuhr von dem Arglosen, wie er mit
seiner Mutter ein ärmliches Leben fristete, nachdem der
Vater frühzeitig verstorben war. Jussup sprach verschämt
und schwärmerisch von seiner heimlichen Verehrung der
lieblichen Großmagd des Ben Abchat, beschrieb sie als
lieblichste Blume der Welt. Er berichtete vom
Märchenerzähler Mahmid, von den Dämonen, die hinter
ihnen im Berg hausen sollten, und von seinen Ängsten, die
sich mit der Verantwortung für die Schafe verbanden.
Die Sonne war um etliches weitergerückt nach Jussups
Erwachen und dem Auftauchen seines Besuchers.
    Die Schafe lagen träge, hatten offensichtlich nicht die
Absicht, den ergiebigen Weidegrund, insbesondere die
Tränke, zu verlassen, sodass Gaur, der Zottlige, es sich mit
heraushängender Zunge im spärlichen Schatten eines
Strauches gemütlich sein ließ. Ab und an ging er zum
provisorischen Trog und schleckte vom kühlen Nass. Auf
einem solchen Gang aber blieb er plötzlich wie angewurzelt
stehen, nahm mit gesträubtem Nackenhaar und gefletschten
Zähnen seine Kampfhaltung ein und ließ ein
gefahrverheißendes Knurren vernehmen.
    Jussup blickte sich ängstlich forschend um. Aber nichts
deutete auf etwas Ungewöhnliches hin. Eine Schlange?
Jussup trat zum Hund, der sein Gebaren nicht verändert
hatte. Aber bevor er die Fläche er reichte, vor der das Tier
noch immer in seiner Drohhaltung verharrte und nunmehr
zu bellen anhub, geschah dort etwas sehr Merkwürdiges:
Als rolle eine unsichtbare Walze über den spärlichen
Bewuchs, neigten sich plötzlich die Halme, wurden gar
gegen den Boden gepresst, richteten sich jedoch nach einem
kurzen Augenblick wieder ein wenig, aber längst nicht
gänzlich auf. Deutlich war eine breite Spur zu erkennen, die
sich auf einer kahlen Stelle trockenrissigen Erdreichs
verlor.
    Gaur lockerte seine starre Haltung, senkte die Schnauze
und trollte erregt schnuppernd über das geknickte Gras bis
dahin, wo der Bewuchs in die kahle Fläche überging. Und
da jaulte der Hund plötzlich auf, flog förmlich ein Stück
zurück, stürzte, war aber behänd wieder auf den Beinen und
– flüchtete mit eingezogenem Schwanz.
    Jussup wischte sich irritiert über die Augen. Hatte er sich
getäuscht oder vertrug er auf einmal die intensive
Sonnenbestrahlung nicht mehr? Ihm war, als sei Gaur,
bevor er diesen merkwürdigen Salto vollführte, für einen
winzigen Augenblick verschwunden gewesen.
    Ibrahim hatte den Vorgang nicht verfolgt. Er stand
gebeugt am Brünnlein und trank aus der muldenförmig
gebogenen Hand. Zwischen den Schlucken berichtete er
wortreich von einem Meer, das so salzig war, dass die
eingetauchte, dann in der Sonne getrocknete Hand in
wenigen Augenblicken von einer weißen Kruste überzogen
sei. Er erwähne das, weil das Lammfleisch etwas vom
köstlichen Gewürz vertragen könne.
    Jussup aber hörte in diesem verwirrenden Augenblick
nicht zu. Außerdem führte er von dem kostbaren Salz kein
Stäubchen mit sich.
    Er stand eine Weile wie benommen. Mechanisch strich er
sich wiederholt über den Kopf.
In respektvoller Entfernung stand hechelnd der Hund und
äugte, offensichtlich noch stark erregt, zu ihm herüber.
Doch vor Jussup tat sich nichts – weder im Gras noch auf
der kahlen Fläche. Er trat nachdenklich zurück, kroch unter
sein Dach. Wieder kamen die Spukgeschichten in sein
Erinnern. Welchen Sinn aber sollte eine derartige
Erscheinung am helllichten Tage haben?
Erneut blickte er in die Runde – nichts! Und Jussup tat das
scheinbar Erlebte als einen Streich ab, den ihm die heiße
Sonne gespielt hatte. Er lauschte weiter Ibrahim, der sich zu
ihm in den Schatten begeben hatte und von riesigen Bauten
schwärmte, himmelhohen Pyramiden, die Könige in der
Nähe eines großen Flusses in der Wüste errichten ließen als
Zeichen ihrer Macht.
    Und alsbald hatte Jussup den Vorfall um den Hund ganz
und gar verdrängt. Er lag auf dem Rücken, lauschte,

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