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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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einigermaßen mächtig, auch in einer Klasse unterrichtet werden müsse, die das Alphabet gleich im ersten Schuljahr durchnehmen würde.
    ›Wenn meine Schwester damals keinen Einspruch erhoben hätte, wüsste ich nicht, was aus mir geworden wäre‹, sagt Aydin. Sie hatte wahrscheinlich geahnt, was später Wirklichkeit werden sollte: Aus der Ausländerklasse ist niemandem der Sprung aufs Gymnasium gelungen. Sie schöpfte dabei aus eigener Erfahrung: Sie selbst war an einer benachbarten Grundschule in eine solche Ausländerklasse eingegliedert worden und anschließend auf die Hauptschule gewechselt. Heute arbeitet Aydins Schwester als Putzfrau in jener Grundschule, an der sie einst vorübergehend die Logik einer integrationsschädlichen Spaltungspädagogik ausgehebelt hatte.«
    Geburt ist Schicksal. Damit ist Deutschland unter den entwickelten Nationen ziemlich allein. In vielen westeuropäischen Ländern herrscht mehr Mobilität, mehr Durchlässigkeit, mehr Chancengleichheit als in Deutschland. Wenn man ein anderes Industrieland sucht, das seine Bürger in ein ähnlich starres Korsett presst, dann landet man in Japan.
    Die Deutschen haben ihr Leben viel weniger in der Hand, als sie sich klarmachen wollen. Wir haben immer noch dieses Bild im Kopf: Jeder ist seines Glückes Schmied. Das ist das Heilsversprechen des Kapitalismus. Aber der Kapitalismus hält sein Versprechen nicht mehr. Wir mögen über die Härten der Leistungsgesellschaft klagen. Aber Leistung ist eben auch ein starkes Prinzip der Gerechtigkeit. Ungleichheit ist leichter zu ertragen, wenn sie ihre Ursache in der Leistung findet. Der Respekt vor dem Starken fußt auf dem Respekt vor seiner Leistung. Umgekehrt gilt dasselbe: Das Mitgefühl mit dem Schwachen beruht darauf, dass dieser es trotz seiner ernsten Bemühungen nicht geschafft hat. Das zeigt schon, dass in der Leistungsgesellschaft die Solidarität ein knappes Gut sein muss: Denn bei ernster Bemühung müsste es ja eigentlich jeder schaffen. Tatsächlich stimmt das aber alles leider nicht. Trotz des ganzen marktliberalen Geredes ist die deutsche Gesellschaft nicht einmal eine echte Leistungsgesellschaft. Es ist noch schlimmer: Wir leben in einer ständischen Gesellschaft. Der Beruf der Eltern entscheidet über den eigenen Beruf. Bildungsentscheidungen, die in früher Kindheit getroffen werden, stellen lebenslang gültige Weichen. Die Welt, aus der man kommt, wird die eigene Welt sein.
    Fleiß, Eigeninitiative, Ehrgeiz – das genügt alles nicht, das garantiert alles gar nichts, das bedeutet im Zweifelsfall alles nichts. Leistung und Fairness sind nicht mehr die prägenden Prinzipien unseres Systems. Zwischen Verdienst und Leistung besteht keine Verbindung, und Fairness ist in diesem System Zufall.
    Aber niemand sieht sich gern als Opfer. Die Leute halten am Bild einer offenen Gesellschaft fest, auch wenn die Wirklichkeit davon weit entfernt ist. Wir schreiben uns eine Autonomie zu, über die wir nicht verfügen. Wir geben uns einer Illusion hin, mit der man uns einlullt. In der Sprache der Soziologen würde man sagen: Wir haben uns den Determinismus als subjektive Freiheit angeeignet. Wir halten die Entscheidungen, die bereits für uns getroffen sind, für unsere eigenen Entscheidungen. Wir leben in den Grenzen einer Notwendigkeit, die gar nicht die unsere ist, aber halten das bereits für ein Höchstmaß an Freiheit. Wir sind darauf trainiert, etwas anderes zu sehen, als unsere Augen uns zeigen. Wir halten uns für Subjekte. Wir sind aber Objekte.
    Das ist der Grund, warum die Leute zwar immer ein paar Gründe zur Klage finden – aber nicht viele Gründe zu kämpfen.
    Dabei ist die Ungleichheit beileibe kein notwendiger Teil unseres Wirtschaftssystems. Es ist auf Effizienz hin angelegt. Aber Effizienz und Gerechtigkeit haben gar nichts miteinander zu tun. Der Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin hat das in der Sprache der Wirtschaftsphilosophie so formuliert: »Bei der Verteilung einer gegebenen Gütermenge auf Individuen ist Effizienz vollkommen verteilungsblind.« 9 Einfacher gesagt: Wirtschaftlicher Erfolg und gerechte gesellschaftliche Verhältnisse sind voneinander unabhängig. Das ist ein wichtiger Gedanke. Man gewinnt manchmal den Eindruck, als gerate in der dogmatischen Welt des Neoliberalismus und der klassischen ökonomischen Lehre jeder mindestens unter Naivitätsverdacht, der sich mit den Konzepten Gerechtigkeit und Gleichheit befasst. Nida-Rümelin nimmt dieses Vorurteil so

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