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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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Gleichgewichtsmodelle. Sie rechnen fest mit den Standardannahmen der klassischen Ökonomie, also vor allem mit effizienten Märkten und rationalen Akteuren. Das funktioniert in normalen Zeiten und für normale Branchen hinlänglich gut, weshalb solche Modelle seit den achtziger Jahren zuverlässig ihren Dienst beim neoliberalen Umbau der westlichen Sozialstaaten geleistet haben. Solche Modelle taugen allerdings nur für die Realwirtschaft und eher schlecht für den Finanzsektor. In Krisenzeiten versagen sie ganz, weil dann die ihnen zugrunde liegende Idee des Gleichgewichts ad absurdum geführt ist.
    Der Weltwährungsfonds-Ökonom Michael Kumhof macht sich keine Illusionen mehr über die Begrenzungen des herkömmlichen Handwerkszeugs seiner Zunft. »Diese Modelle sind ein Werkzeug. Wenn man sie richtig einsetzt, funktionieren sie hervorragend.« Das Problem sei nur: »Für die größten Herausforderungen der gegenwärtigen Politik sind sie ungeeignet.« Sein Kollege vom Massachussetts Institute of Technology (MIT), der Ökonom Ricardo Caballero, hat gesagt, dass die herkömmlichen Modellbauer seiner Zunft »derart fasziniert sind von ihrer eigenen Logik, dass sie geglaubt haben, sie könnten die Präzision, die sie in ihrer eigenen Welt erreicht haben, auch in der echten Welt erreichen«. Oder, in den etwas schlichteren Worten des legendären Baseballspielers der Yankees, Yogi Berra: »Theoretisch gibt es keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Praktisch schon.«
    Im Januar 2009 formulierten die Finanzforscher Paul Wilmott und Emanuel Derman darum durchaus nicht im Spaß ihren »Hippokratischen Eid für Modell-Bauer«:
    » ICH WILL MICH daran erinnern, dass ich die Welt nicht geschaffen habe und dass sie sich nicht in meine Gleichungen einfügt.
    Und wenn ich mich auch der Finanzmodelle bediene, um Werte abzuschätzen, will ich mich nicht der Mathematik mit Leichtgläubigkeit hingeben.
    Niemals will ich die Wirklichkeit der Eleganz opfern, ohne Rechenschaft darüber abzulegen, warum ich es tat.
    Und niemals will ich die Menschen, die meine Modelle nutzen, in falscher Sicherheit über ihre Genauigkeit wiegen. Ich will stattdessen offen über ihre Vermutungen und Versehen sprechen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass meine Arbeit große Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf die Wirtschaft haben kann und dass ich sie niemals alle überblicken werde. « 10
    Man sieht schon, dass die Ökonomen in der Krise für kurze Zeit mit etwas Bekanntschaft machten, was den meisten bis dahin vermutlich fremd war: Demut. Weil ein Ökonom ohne Modelle so hilflos wäre wie ein Kapitän ohne Kompass, machten sich die Forscher auf die Suche nach Alternativen zu den kläglich gescheiterten DSGE-Modellen. Und was sie fanden und was zur Zeit der letzte Schrei in der Zunft ist, sind die sogenannten Agent Based Models. Sie nehmen für sich in Anspruch, der Wirklichkeit näher zu sein als ihre gescheiterten Vorläufer. Anders als jene sind sie auch nicht von höheren, hypervernünftigen Wesen bevölkert, die als beseelte Entscheidungsautomaten wie lebende Gleichungen das Wirtschaftsleben unter sich ausmachen. Sie räumen mit der Illusion des Gleichgewichts auf oder überhaupt mit jeder Idee von Ordnung im System. Sie konzentrieren sich nicht auf die Institutionen, sondern auf die einzelnen Marktteilnehmer und ihre sehr unterschiedlichen Motive und Handlungsmuster: rationale, irrationale, berechenbare, zufällige, individuelle, gruppenbezogene. Es gibt ein anderes Feld, auf dem solche agentenbasierten, nichtlinearen Modelle bereits seit langem sehr erfolgreich eingesetzt werden: Verkehrsforscher gebrauchen sie für Stauprognosen.
    Andere Instrumente zeigen ein anderes Bild der Wirklichkeit. Michael Kumhof hat sich Verschuldung und Finanzkrise anhand eines agentenbasierten Modells angesehen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen Zusammenhang mit der sozialen Ungleichheit gibt. Kumhof hat sich vor allem mit der Situation in den USA und in Großbritannien beschäftigt. Dort habe sich seit den achtziger Jahren das Verhältnis zwischen Einkommen und Schulden drastisch verschlechtert – und zwar bei den unteren 95 Prozent der Gesellschaft. Die Konsequenz dieser Beobachtung liegt für Kumhof auf der Hand: »Die oberen 5% nehmen sich ein größeres Stück vom Kuchen und die unteren 95% versuchen das zu kompensieren, indem sie sich Geld leihen. Und die oberen 5% leihen es ihnen gerne.« Das erzeugt Instabilität im Finanzsystem,

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