SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
wenn ich für einige Tage bei Kunden an der Ostküste weilte und ich die Katze, nein Tascha, gut versorgt, aber sich selbst überlassen, viele tausend Meilen entfernt wusste; allein inmitten uralter, aus Lehm gebrannter oder auf Papyrus verewigter Erinnerungen.
Sie fühlte sich wohl, wenn sie unbehelligt durch die Korridore und Zimmer streifen konnte, stets die eindrucksvollen Relikte ihrer Urahnen vor Augen. Mit einem kehligen Miauen, fast einem lustvollen Jauchzen, sprang Tascha dann von Regal zu Regal, lief Zickzack um steinerne Ebenbilder ihrer selbst und thronte anschließend erschöpft, aber immer noch würdevoll auf einem der am Boden aufgeschichteten Türme dicker Folianten. Trotz ihrer ungestümen Toberei gelang es ihr auf eine beinahe schon wundersame Weise, nie auch nur eine der Skulpturen, Reliefs oder Bücher zu beschädigen. Es war, als besäße sie die Fähigkeit, ihr Gewicht in nichts aufzulösen. Bereits wenige Zentimeter Freiraum genügten ihr als Lande- oder Absprungstelle. Zwar gerieten zuweilen einige der Gegenstände ins Schwanken, aber nie verloren sie ihr Gleichgewicht. Es hatte auf mich oft den Eindruck, als ahnten die stummen Katzen, dass ihr kurzes, von Tascha eingehauchtes Leben, auf dem harten Boden unter ihnen zu Ende sein würde, und während sie die sanften Schwingungen auskosteten, bemühten sie sich mit aller Kraft, ihren angestammten Platz nicht zu verlassen.
Tascha zeigte sich nie ungehalten darüber, wenn ich gelegentlich über das Wochenende oder auch länger für eine meiner Foto-Sessions wegblieb; schließlich hatte ich das schon immer getan. Und auch jetzt legte sie keinen gesteigerten Wert darauf, mich auf meinen Reisen zu begleiten. Nichts – fast nichts – hatte sich verändert. Tascha war immer noch ein selbständiges, eigenwilliges und freiheitsliebendes Wesen; in ihrem neuen Körper mehr denn je.
Ich lernte schnell, ihre Gebärden zu verstehen, dabei half mir auch das leise Lachen in meinem Kopf, welches sich – je nach Situation – in ein belehrendes, resignierendes oder warnendes Stöhnen oder Knurren verwandeln konnte. Nachdem ich einige Male erfolglos, das Stöhnen in meinem Kopf missachtend, versucht hatte, Tascha auf einen Geschäftstrip mitzunehmen und dabei recht schmerzhafte Krallenspuren davongetragen hatte, wurde ich feinfühliger und vorsichtiger. Schließlich erfüllte es mich mit einer warmen Freude, wenn ich sah, wie unverändert wild und feurig meine Geliebte war.
Gelegentliche Trennungen erfrischen eine Beziehung, heißt es, machen wieder neugierig aufeinander, beleben die Partner mit neuer Lust. Dies war bei Tascha und mir nicht anders, und doch … etwas war anders als zuvor. Ich schob Gedanken dieser Art Wochen, ja Monate vor mir her. Ich umhüllte mich mit jener neuen, magischen Atmosphäre wie mit einem dichten, undurchdringlichen Mantel und gab einfach vor, nicht mehr an ›die Zeit davor‹ zu denken. Vor allem Vergleiche mit dem ›davor‹ und ›danach‹ wies ich weit von mir. Die Zeit als solche war einfach nicht mehr existent. Was hatte Zeit auch schon für eine Bedeutung, wenn es so etwas wie den Tod nicht mehr gab? Manchmal, vor allem zu Anfang, ging meine Taktik auf. Ich stellte mir dann lediglich vor, schon immer so gelebt zu haben, umgeben von Kameras, Positivabzügen, Terrakotta-Katzen … und Tascha.
Doch die Zeit war mein Feind; ausdauernd, zäh und unnachgiebig höhlte sie mein mühsam errichtetes Wunschbild von Tascha und mir aus, ließ es mehr und mehr verblassen, bis es schließlich wie ein von Kinderhand errichtetes Kartenhaus zusammenbrach.
Natürlich wehrte ich mich gegen derartige Momente der Schwäche; ertappte ich mich bei einem dieser plötzlich aufflackernden, dunklen Gedanken, so tat ich alles, um meine Geliebte noch zuvorkommender, noch zärtlicher zu verwöhnen. Ich schalt mich einen Narren oder auch einen Verräter, aber gleichzeitig war mir mit bestürzender Klarheit gewiss, wie nahe der Zeitpunkt lag, an dem mir eine Abkehr von Tascha kein schlechtes Gewissen mehr bereiten würde.
Es lag halt daran, dass ich ein Mann war … und Tascha eben keine Frau, eher nur ein weibliches Wesen. Wenn ich an unsere gemeinsam verbrachten Nächte oder auch Tage zurückdachte – und diesmal konnte und wollte ich die Erinnerungen nicht verdrängen – , so war es eben zu einem großen Teil Taschas animalische Körperlichkeit gewesen, die mich gefesselt hatte, ihre ungezügelte, tabulose Lust, die mich in einen
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