SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
warum ich derart gehandelt habe. Warum ich einfach so handeln musste.
Trotz aller zeitlichen Bezüge habe ich zwischen der alten Geschichte und diesem neuen Ansatz vier Seiten leer gelassen. Ich konnte einfach nicht direkt dort wieder ansetzen, wo ich einst für immer (wie ich glaubte) einen Endpunkt gesetzt hatte. Die Zeit ist weitergeschritten. Die Geschichte ist eine andere. Ich bin ein anderer.
Wo soll ich nur beginnen? Ich suche einen genauen Zeitpunkt, doch gibt es ihn überhaupt? Das Problem besteht darin, dass sich sehr selten etwas von heute auf morgen verändert. Natürlich gibt es Ausnahmen – in Verbindung mit Natascha und mir sogar recht viele, gute wie schlechte, aber für gewöhnlich geschehen Veränderungen nicht einfach, sie schleichen sich an. Ausdauernd und geduldig warten sie auf ihre große Stunde, wie gierige Geier über einem zum Tode verurteilten Tier. Selbstverständlich gibt es gewisse Anzeichen, jedes Erdbeben kündigt sich durch kleinere Vorbeben an, aber in jenen Tagen war ich sicherlich nicht in der Verfassung, diese Fingerzeige des Schicksals richtig zu deuten. Es vergingen fast sechs Monate, bis ich schließlich mit einem Vorfall konfrontiert wurde, der die bis dahin bestehende Idylle als Trugbild entlarvte. Ich glaube, der letztendliche Auslöser für meine Tat, war dieser verdammte Wind.
Gegen Mitte August litt die ganze Stadt unter einer erbarmungslosen trockenen Hitze. Eigentlich hatte man sich in Yucca Springs an das Wüstenklima gewöhnt – wer genug Geld hatte, sah zu, dass er während des Sommers nach Norden an die Küste zog – und doch schien dieses Jahr heißer als all die Jahre zuvor zu sein. »Wieder einer von diesen Höllensommern «, sagten die Einheimischen. Alle hundert Jahre oder so, schien der Teufel seine ›Heizung‹ auf Hochtouren laufen zu lassen, und diesmal sah es so aus, als habe der Gehörnte gleich hundert neue Brenner unter der Stadt montiert. Täglich las man von Menschen, die an einem Hitzschlag gestorben waren. Der Bedarf nach Erfrischung war so groß, dass die Besitzer von Swimmingpools Nachtwachen einlegen mussten, um unliebsamen Besuch zu vertreiben. Ich lebte in einem wahren Brutkessel.
Was diesen Sommer aber wirklich zur Qual werden ließ, war der ständig wehende Wind. Dieser unaufhörliche Luftstrom, der wie ein unsichtbares Feuer in jede Behausung drang , machte die Menschen matt und lethargisch. Sie stumpften ab; Kopfschmerz marterte sie, manche Leute schrien andere plötzlich ohne Grund an oder wurden gar handgreiflich. Die Zahl der Verkehrsunfälle stieg in der zweiten Hälfte des Monats um satte 80 % an. Die Rate der Einbrüche und Diebstähle mit Körperverletzung kletterte sogar um 130 %. Die Stadt war nahe daran, einem Kollaps zu erliegen.
Ich erwähne diese Tatsachen nicht zu meiner Rechtfertigung, nicht ausschließlich jedenfalls, ich will damit nur andeuten, wie gespannt die allgemeine Lage war. Niemand reagierte mehr beherrscht.
Ich saß an diesem Tag – wie jetzt – grübelnd an meinem Schreibtisch und starrte auf die gegenüberliegende Straßenseite. Das Fenster war leicht geöffnet, beißendes Feuer zerrte an meinen schweißverklebten Haaren.
Die Luft machte das Denken beinahe unmöglich. Hielt man das Fenster geöffnet, wurde man wie in einem Heißluftgrill gebacken (30 Minuten bei 220ºC auf der mittleren Schiene), schloss man es, so glaubte man, nach fünf Minuten ersticken zu müssen. Die altersschwache Klimaanlage, die Natascha von ihrem Vormieter übernommen hatte, verbreitete weitaus mehr Lärm als kühlende Erfrischung.
Anfangs hatten die hohen Räume der Hitze noch widerstanden, doch jetzt boten sie nur noch wenig Linderung. Innerlich verfluchte ich den Wind. Der heiße Santa-Ana , der sich wie Lava über die San Bernadino-, San Gabriel- und San Jacinto-Berge in die Täler ergoss, hatte auf seinem langen Weg zur Stadt keine Gewässer überquert, kein Meer, keine Seen, nicht einmal größere Flüsse. Im Nordwesten, dem Ort seiner Herkunft, gab es nur kahle Steppen und Wüste. Die einzigen Dinge, an denen er sich auf seiner Reise entlang der Westseite der Sierra Nevada hatte reiben können, waren Felsen, Geröll, staubiges Büffelgras und Kakteen gewesen – und natürlich Sand. Düster sah ich zu, wie sich die Scheiben der Autos langsam mit seinem feinen, schmirgelndem Atem überzogen.
Meine Augen verloren sich in trostlosem Graubraun. Die ganze Stadt schien von einem übereifrigen aber farbenblinden
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