Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
Gott, dass ich wünschte, ihm gleich zu sein? Was ich heute mit aller Kraft wünsche, geht über die Götter hinaus. Ich übernehme die Verantwortung für ein Reich, in dem das Unmögliche Herrscher ist.
    CAESONIA
    Du wirst nicht erreichen können, dass der Himmel nicht der Himmel ist, dass ein schönes Gesicht hässlich und ein Menschenherz empfindungslos wird.
    CALIGULA (mit wachsender Erregung)
    Ich will den Himmel ins Meer stürzen, Hässlichkeit und Schönheit vermischen, aus Leid Gelächter hervorbrechen lassen.
    CAESONIA (vor ihm aufgerichtet, flehend)
    Es gibt Gut und Böse, das Erhabene und das Niedrige, das Gerechte und das Ungerechte. Und ich schwöre dir, dass sich das nicht ändern wird.
    CALIGULA (wie zuvor)
    Es ist mein Wille, es zu ändern. Ich werde diesem Jahrhundert die Gleichheit schenken. Und wenn alles gleich gemacht ist – das Unmögliche endlich auf Erden, der Mond in meiner Hand –, dann werde vielleicht ich selbst verwandelt sein und die Welt mit mir, dann endlich werden Menschen nicht mehr sterben und glücklich sein.
    CAESONIA (mit einem Schrei)
    Du wirst die Liebe nicht leugnen können.
    CALIGULA (aus der Haut fahrend, wutschnaubend)
    Die Liebe, Caesonia!
    (Er hat sie bei den Schultern gefasst und schüttelt sie.)
    Ich habe erfahren, dass sie nichts ist. Der andere da hat recht: der Staatsschatz! Du hast ihn doch gehört, nicht wahr? Damit fängt alles an. Ah, jetzt werde ich endlich leben! Leben, Caesonia, leben ist das Gegenteil von lieben. I c h sage es dir, und i c h lade dich ein zu einem ungeheuren Fest, zu einer Haupt- und Staatsaktion, zum schönsten aller Schauspiele. Und ich brauche Leute, Zuschauer, Opfer und Schuldige.
    (Er springt zum Gong und schlägt ihn unentwegt, lauter und lauter.)
    (Weiter den Gong schlagend) Bringt die Schuldigen herein. Ich brauche Schuldige. Und schuldig sind sie alle. (Schlägt weiter den Gong) Die zum Tode Verurteilten sollen hereinkommen. Publikum, ich will mein Publikum! Richter, Zeugen, Angeklagte, alle im Voraus verurteilt! Ah, Caesonia, ich werde ihnen zeigen, was sie noch nie gesehen haben, den einzigen freien Menschen in diesem Reich!
    (Mit den Gongschlägen dringen nach und nach anschwellende, näher kommende dumpfe Geräusche in den Palast. Stimmen, Waffenlärm, Schritte und Getrampel. CALIGULA lacht und schlägt weiter den Gong. Wachen treten ein, gehen wieder hinaus.)
    CALIGULA (weiter den Gong schlagend)
    Und du, Caesonia, wirst mir gehorchen. Du wirst mir immer beistehen. Das wird herrlich. Schwöre, dass du mir beistehst, Caesonia.
    CAESONIA (verstört, zwischen zwei Gongschlägen)
    Ich brauche nicht zu schwören. Ich liebe dich.
    CALIGULA (wie zuvor)
    Du wirst alles tun, was ich dir sage.
    CAESONIA (wie zuvor)
    Alles, Caligula, aber hör jetzt auf.
    CALIGULA (immer noch den Gong schlagend)
    Du wirst grausam sein.
    CAESONIA (weinend)
    Grausam.
    CALIGULA (wie zuvor)
    Kalt und unerbittlich.
    CAESONIA
    Unerbittlich.
    CALIGULA (wie zuvor)
    Du wirst auch leiden.
    CAESONIA
    Ja, Caligula, aber ich werde verrückt dabei.
    (Voller Bestürzung sind Patrizier und mit ihnen die Palastdiener hereingekommen. CALIGULA gibt dem Gong einen letzten Schlag, hebt den Schlägel, wendet sich ihnen zu und ruft sie.)
    CALIGULA (von Sinnen)
    Kommt alle her. Kommt näher. Ich befehle euch, näher zu treten.
    (Er stampft mit dem Fuß auf.)
    Hier steht ein Kaiser, der verlangt, dass ihr näher tretet.
    (Alle treten voller Schrecken näher.)
    Kommt schnell. Und jetzt komm hierher, Caesonia.
    (Er nimmt sie bei der Hand, führt sie vor den Spiegel und wischt hektisch mit dem Schlägel ein Bild auf der glatten Fläche aus.)
    (Lacht) Nichts mehr, siehst du. Keine Erinnerungen mehr, alle Gesichter weg! Nichts, gar nichts mehr. Und weißt du, was bleibt? Tritt näher. Schau. Tretet näher. Schaut.
    (Er baut sich in der Haltung eines Wahnsinnigen vor dem Spiegel auf.)
    CAESONIA (blickt in den Spiegel, voller Entsetzen)
    Caligula!
    ( CALIGULA wechselt den Ton, legt einen Finger auf den Spiegel, sein Blick wird plötzlich starr.)
    CALIGULA (triumphierend)
    Caligula.
    Vorhang

Zweiter Akt
    1 . Szene
    (Die Patrizier sind in CHEREA s Haus zusammengekommen.)
    ERSTER PATRIZIER
    Er beleidigt unsere Würde.
    MUCIUS
    Seit drei Jahren!
    DER ALTE PATRIZIER
    Er nennt mich Liebchen. Er macht mich lächerlich! Bringt ihn um!
    MUCIUS
    Seit drei Jahren!
    ERSTER PATRIZIER
    Wir müssen jeden Abend hinter seiner Sänfte herlaufen, wenn er sich im Grünen spazieren tragen

Weitere Kostenlose Bücher