Saemtliche Dramen
die mir den Mond unerlässlich macht. Das ist eine ganz einfache, ganz klare Wahrheit, ein bisschen dumm, aber schwierig herauszufinden und schwer zu ertragen.
HELICON
Und was ist das für eine Wahrheit, Gajus?
CALIGULA (abgewandt, in sachlichem Ton)
Die Menschen sterben, und sie sind nicht glücklich.
HELICON (nach einer Pause)
Ach, komm, Gajus, das ist eine Wahrheit, mit der man sich sehr gut abfinden kann. Schau dich um. Das hält sie nicht vom Essen ab.
CALIGULA (plötzlich laut werdend)
Weil alles um mich herum Lüge ist und ich will, dass man in der Wahrheit lebt! Und gerade ich habe die Möglichkeit, sie dazu zu bringen, in der Wahrheit zu leben. Ich weiß nämlich, was ihnen fehlt, Helicon. Ihnen mangelt es an Erkenntnis, und sie brauchen einen Lehrer, der weiß, wovon er spricht.
HELICON
Nimm mir nicht übel, was ich dir sagen werde, Gajus. Aber du solltest dich erst einmal ausruhen.
CALIGULA (setzt sich, in sanftem Ton)
Das ist nicht möglich, Helicon, das wird nie wieder möglich sein.
HELICON
Und warum nicht?
CALIGULA
Wenn ich schlafe, wer gibt mir dann den Mond?
HELICON (nach kurzem Schweigen)
Das stimmt.
( CALIGULA steht mit sichtlicher Mühe auf.)
CALIGULA
Horch, Helicon. Ich höre Schritte und Stimmen. Sei verschwiegen und vergiss, dass du mich gesehen hast.
HELICON
Ich habe verstanden.
( CALIGULA geht zum Ausgang. Er dreht sich um.)
CALIGULA
Und, bitte, hilf mir von nun an.
HELICON
Ich habe keinen Grund, es nicht zu tun, Gajus. Aber ich weiß vieles, und weniges interessiert mich. Wobei kann ich dir denn helfen?
CALIGULA
Bei dem Unmöglichen.
HELICON
Ich werde mein Bestes tun.
( CALIGULA geht hinaus. SCIPIO und CAESONIA kommen eilig herein.)
5 . Szene
SCIPIO
Hier ist niemand. Hast du ihn nicht gesehen, Helicon?
HELICON
Nein.
CAESONIA
Helicon, hat er wirklich nichts gesagt, bevor er davongelaufen ist?
HELICON
Ich bin nicht sein Vertrauter, ich bin sein Zuschauer. Das ist klüger.
CAESONIA
Ich bitte dich.
HELICON
Liebe Caesonia, Gajus ist ein Idealist, das weiß doch jeder. Das heißt, er hat noch nicht verstanden. Ich schon, deshalb kümmere ich mich um nichts. Wenn Gajus aber zu verstehen beginnt, ist er mit seinem guten Herzchen imstande, sich um alles zu kümmern. Und Gott weiß, was uns das einbringen wird. Aber ihr erlaubt, das Essen wartet!
(Er geht hinaus.)
6 . Szene
( CAESONIA setzt sich erschöpft.)
CAESONIA
Eine Wache hat ihn vorbeigehen sehen. Aber ganz Rom sieht Caligula überall. Und Caligula sieht in der Tat nur, was er sich vorstellt.
SCIPIO
Was stellt er sich vor?
CAESONIA
Woher soll ich das wissen, Scipio?
SCIPIO
Drusilla?
CAESONIA
Wer kann es sagen? Aber es ist wahr, dass er sie liebte. Es ist wahr, dass es hart ist, heute sterben zu sehen, was man gestern noch in den Armen hielt.
SCIPIO (schüchtern)
Und du?
CAESONIA
Ich? Ach, er begehrt mich, aber er müsste mich lieben.
SCIPIO
Caesonia, wir müssen ihn retten.
CAESONIA
Du liebst ihn wohl?
SCIPIO
Ich liebe ihn. Du kannst nicht wissen, wie gut er zu mir war, wie er mir geholfen hat, wie er meiner Familie geholfen hat. Er hat mich ermutigt, und ich habe einige seiner Worte beherzigt. Er sagte mir, das Leben sei nicht leicht, aber es gebe ja die Religion, die Kunst und die Liebe, die man uns entgegenbringt. Er wiederholte oft, Leid zu verursachen sei die einzige Art, sich zu betrügen. Er wollte ein Gerechter sein.
CAESONIA (steht auf)
Das war er, ein Kind.
(Sie geht zum Spiegel und betrachtet sich darin.)
Ich habe nie einen anderen Gott gehabt als meinen Körper, und zu diesem Gott möchte ich heute beten, damit ich Gajus wiederbekomme.
( CALIGULA tritt ein. Als er CAESONIA und SCIPIO erblickt, zögert er und weicht zurück. Im selben Augenblick treten auf der gegenüberliegenden Seite die Patrizier und der Oberhofmeister auf. Sie bleiben verblüfft stehen. CAESONIA dreht sich um. Sie und SCIPIO laufen auf CALIGULA zu. Er gebietet ihnen mit einer Geste Halt.)
7 . Szene
OBERHOFMEISTER (mit unsicherer Stimme)
Wir … wir haben dich gesucht, Cäsar.
CALIGULA (mit veränderter, schroffer Stimme)
So.
OBERHOFMEISTER
Wir … das heißt …
CALIGULA (brutal)
Was wollt ihr?
OBERHOFMEISTER
Wir waren beunruhigt, Cäsar.
CALIGULA (auf ihn zugehend)
Mit welchem Recht?
OBERHOFMEISTER
Äh! Mmh … (In einer plötzlichen Eingebung, sehr schnell) Nun, du weißt doch, dass du einige Probleme regeln musst, die den Staatsschatz betreffen.
CALIGULA (von einem
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