Saemtliche Dramen
lässt!
ZWEITER PATRIZIER
Und er sagt uns, Laufen sei gut für die Gesundheit.
MUCIUS
Seit drei Jahren!
DER ALTE PATRIZIER
Dafür gibt es keine Entschuldigung.
DRITTER PATRIZIER
Nein, das ist unverzeihlich.
ERSTER PATRIZIER
Patricius, er hat dein Hab und Gut eingezogen; Scipio, er hat deinen Vater getötet; Octavius, er hat deine Frau entführt und zwingt sie jetzt, in seinem Bordell zu arbeiten; Lepidus, er hat deinen Sohn getötet. Wollt ihr das hinnehmen? Ich für mein Teil habe meine Wahl getroffen. Zwischen der Gefahr, der ich mich aussetze, und diesem unerträglichen Leben in Angst und Ohnmacht gibt es für mich kein Zaudern.
SCIPIO
Als er meinen Vater tötete, hat er die Wahl für mich getroffen.
ERSTER PATRIZIER
Zögert ihr immer noch?
DRITTER PATRIZIER
Wir sind auf deiner Seite. Er hat dem Volk unsere Plätze im Zirkus geschenkt und uns dazu gezwungen, mit der Plebs darum zu kämpfen, um uns anschließend desto strenger zu bestrafen.
DER ALTE PATRIZIER
Er ist ein Feigling.
ZWEITER PATRIZIER
Ein Zyniker.
DRITTER PATRIZIER
Ein Komödiant.
DER ALTE PATRIZIER
Er ist impotent.
VIERTER PATRIZIER
Seit drei Jahren!
(Wildes Durcheinander. Waffen werden gezückt. Eine Fackel fällt zu Boden. Ein Tisch wird umgestoßen. Alles stürzt zum Ausgang. Aber der eintretende CHEREA hält sie ungerührt in ihrem Hinausstürmen auf.)
2 . Szene
CHEREA
Wohin wollt ihr so eilig?
DRITTER PATRIZIER
Zum Palast.
CHEREA
Das habe ich schon verstanden. Aber glaubt ihr, man lässt euch hinein?
ERSTER PATRIZIER
Wir haben nicht vor, um Erlaubnis zu fragen.
CHEREA
Wie energisch ihr auf einmal seid! Ist es mir wenigstens gestattet, mich in meinem eigenen Haus hinzusetzen?
(Die Tür wird geschlossen. CHEREA geht zu dem umgestürzten Tisch und setzt sich auf eine Ecke, während alle sich ihm zuwenden.)
Es ist nicht so einfach, wie ihr glaubt, Freunde. Die Angst, die ihr empfindet, kann Mut und Kaltblütigkeit nicht ersetzen. Das alles ist verfrüht.
DRITTER PATRIZIER
Wenn du nicht mitmachen willst, geh, aber halte den Mund.
CHEREA
Ich glaube doch, dass ich mitmache. Aber nicht aus denselben Gründen.
DRITTER PATRIZIER
Genug geschwatzt!
CHEREA (richtet sich auf)
Ja, genug geschwatzt. Ich möchte eins klarstellen. Ich mache zwar bei euch mit, aber ich bin nicht mit euch einig. Darum erscheint mir eure Methode nicht richtig. Ihr habt euren wahren Feind nicht erkannt, ihr unterstellt ihm kleinliche Motive. Er hat aber nur große, und ihr lauft in euer Verderben. Zuerst einmal müsst ihr ihn so sehen, wie er ist, dann könnt ihr ihn besser bekämpfen.
DRITTER PATRIZIER
Wir sehen ihn, wie er ist: der wahnsinnigste aller Tyrannen!
CHEREA
Das ist nicht sicher. Mit verrückten Kaisern kennen wir uns aus. Aber dieser ist nicht verrückt genug. Und am meisten hasse ich an ihm, dass er weiß, was er will.
ERSTER PATRIZIER
Er will unser aller Tod.
CHEREA
Nein, denn das ist zweitrangig. Vielmehr stellt er seine Macht in den Dienst einer höheren und tödlicheren Leidenschaft, er bedroht uns in unserm tiefsten Sein. Bestimmt ist es nicht das erste Mal, dass ein Mensch bei uns über unumschränkte Macht verfügt, aber zum ersten Mal bedient er sich ihrer unumschränkt und geht so weit, den Menschen und die Welt zu leugnen. Das erschreckt mich an ihm, und das will ich bekämpfen. Das Leben zu verlieren ist keine große Sache, und wenn es nötig ist, werde ich den Mut dazu haben. Aber zu sehen, wie der Sinn des Lebens sich auflöst, wie unser Seinsgrund verschwindet, das ist unerträglich. Man kann nicht ohne Grund leben.
ERSTER PATRIZIER
Rache ist ein Grund.
CHEREA
Ja, und den werden wir gemeinsam haben. Wohlgemerkt aber nicht, um mich wegen eurer kleinen Demütigungen einzusetzen, sondern um gegen eine große Idee zu kämpfen, deren Sieg das Ende der Welt bedeuten würde. Ich kann zulassen, dass ihr verhöhnt werdet; nicht akzeptieren kann ich, dass Caligula all das tut, wovon er träumt. Er verwandelt seine Philosophie in Leichen, und zu unserem Unglück ist es eine Philosophie, die keine Einwände kennt. Wenn man nicht widerlegen kann, muss man eben zuschlagen.
DRITTER PATRIZIER
Also muss gehandelt werden.
CHEREA
Es muss gehandelt werden. Aber ihr werdet diese ungerechte Macht nicht mit einem frontalen Angriff vernichten können, während sie in voller Blüte steht. Die Tyrannei kann man bekämpfen, die zweckfreie Bosheit muss man überlisten. Man muss sie immer weiter in ihre Richtung
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