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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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ihm.)
    CHEREA
    Ist das nicht schon drei Tage her, Scipio?
    SCIPIO
    Ja. Ich war dabei, da ich ihn wie gewöhnlich begleitete. Er ist an Drusillas Leiche getreten. Er hat sie mit zwei Fingern berührt. Dann schien er nachzudenken, machte kehrt und ging gemessenen Schritts hinaus. Seitdem laufen wir hinter ihm her.
    CHEREA (kopfschüttelnd)
    Dieser Junge liebte die Literatur zu sehr.
    ZWEITER PATRIZIER
    Das entspricht seinem Alter.
    CHEREA
    Aber nicht seiner Stellung. Ein Künstler als Kaiser, nicht auszudenken! Einen oder zwei von der Sorte hatten wir ja schon. Schwarze Schafe gibt es überall. Aber die anderen hatten den guten Geschmack, Beamte zu bleiben.
    ERSTER PATRIZIER
    Das war geruhsamer.
    DER ALTE PATRIZIER
    Schuster, bleib bei deinen Leisten.
    SCIPIO
    Was können wir tun, Cherea?
    CHEREA
    Nichts.
    ZWEITER PATRIZIER
    Warten wir ab. Wenn er nicht zurückkommt, muss er ersetzt werden. Unter uns, an Kaisern fehlt es nicht.
    ERSTER PATRIZIER
    Nein, uns fehlt es nur an Leuten mit Charakter.
    CHEREA
    Und wenn er schlecht aufgelegt zurückkommt?
    ERSTER PATRIZIER
    Du meine Güte, er ist noch ein Kind, wir werden ihn schon zur Vernunft bringen.
    CHEREA
    Und wenn er für gutes Zureden taub ist?
    ERSTER PATRIZIER (lacht)
    Nun, habe ich nicht früher einmal eine Abhandlung über den Staatsstreich geschrieben?
    CHEREA
    Gewiss, wenn es sein müsste! Aber mir wäre es lieber, ich könnte bei meinen Büchern bleiben.
    SCIPIO
    Entschuldigt mich bitte.
    (Er geht hinaus.)
    CHEREA
    Er ist entrüstet.
    DER ALTE PATRIZIER
    Er ist ein Kind. Die jungen Leute halten zusammen.
    HELICON
    Ob sie zusammenhalten oder nicht, älter werden sie in jedem Fall.
    EINE WACHE (erscheint)
    Jemand hat Caligula im Palastgarten gesehen.
    (Alle gehen hinaus.)
    3 . Szene
    (Die Bühne bleibt einige Sekunden leer. Verstohlen tritt CALIGULA von links ein. Er wirkt verstört, er ist schmutzig, sein Haar trieft, und seine Beine sind verschmutzt. Er führt mehrmals die Hand an den Mund. Er geht auf den Spiegel zu und bleibt stehen, sobald er sein eigenes Bild erblickt. Er murmelt undeutliche Worte, dann geht er nach rechts und setzt sich mit zwischen den gespreizten Knien hängenden Armen. HELICON kommt links herein. Als er CALIGULA erblickt, bleibt er am Bühnenrand stehen und beobachtet ihn schweigend. CALIGULA dreht sich um und sieht ihn. Pause.)
    4 . Szene
    HELICON (von einem Ende der Bühne zum anderen)
    Guten Tag, Gajus.
    CALIGULA (ungezwungen)
    Guten Tag, Helicon.
    HELICON
    Du siehst müde aus.
    CALIGULA
    Ich bin viel gelaufen.
    HELICON
    Ja, du warst lange fort.
    (Pause.)
    CALIGULA
    Es war schwer zu finden.
    HELICON
    Was denn?
    CALIGULA
    Das, was ich wollte.
    HELICON
    Und was wolltest du?
    CALIGULA (noch immer ungezwungen)
    Den Mond.
    HELICON
    Was?
    CALIGULA
    Ja, ich wollte den Mond.
    HELICON
    Aha!
    (Schweigen. HELICON kommt näher.)
    Wozu?
    CALIGULA
    Nun … Das ist etwas, was ich nicht habe.
    HELICON
    Natürlich. Und jetzt ist alles in Ordnung?
    CALIGULA
    Nein, ich habe ihn nicht bekommen.
    HELICON
    Das ist ärgerlich.
    CALIGULA
    Ja, deshalb bin ich müde.
    (Pause.)
    Helicon!
    HELICON
    Ja, Gajus.
    CALIGULA
    Du denkst, ich sei verrückt.
    HELICON
    Du weißt doch, dass ich nie denke. Dazu bin ich viel zu intelligent.
    CALIGULA
    Ja. Nun gut! Aber ich bin nicht verrückt, ich war sogar noch nie so vernünftig. Nur habe ich plötzlich ein Bedürfnis nach Unmöglichem verspürt. (Pause.) Die Dinge scheinen mir so, wie sie sind, nicht befriedigend.
    HELICON
    Das ist eine ziemlich weit verbreitete Ansicht.
    CALIGULA
    Es ist wahr. Aber vorher wusste ich es nicht. Jetzt weiß ich es. (Immer noch ungezwungen) Diese Welt ist so, wie sie gemacht ist, nicht zu ertragen. Darum brauche ich den Mond oder das Glück oder die Unsterblichkeit, etwas, was unsinnig sein mag, was aber nicht von dieser Welt ist.
    HELICON
    Das ist eine Überlegung, die Hand und Fuß hat. Aber im Allgemeinen kann man sie nicht zu Ende führen.
    CALIGULA (steht auf, aber mit derselben Natürlichkeit)
    Du hast keine Ahnung. Eben weil man sie nie zu Ende führt, wird nichts erreicht. Aber vielleicht genügt es, bis zum Ende konsequent zu bleiben.
    (Er schaut HELICON an.)
    Ich weiß auch, was du denkst: Wie viel Aufhebens um den Tod einer Frau! Nein, das ist es nicht. Ich glaube mich zwar zu erinnern, dass vor einigen Tagen eine Frau gestorben ist, die ich liebte. Aber was ist die Liebe? Eine Bagatelle. Jener Tod bedeutet nichts, das schwöre ich dir. Er ist nur ein Hinweis auf eine Wahrheit,

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