Sämtliche Dramen
Pforte, die wohl zu klein für die Magnaten ist; wer sich eben bücken will, kommt wohl durch; aber die meisten werden zu frostig und zu verwöhnt sein, und wandeln auf dem blumigen Pfade, der zur breiten Pforte und zum großen Feuer führt.
Lafeu
. Geh deiner Wege, ich fange an, dich satt zu haben, und ich sage dir’s bei Zeiten, denn ich möchte nicht, daß wir in Unfrieden gerieten. Geh deiner Wege, laß nach meinen Pferden sehn; aber ohne Schelmenstreiche!
Narr
. Wenn ich ihnen mit Streichen komme, Herr, so sollen’s Peitschenstreiche sein, die gebühren ihnen nach dem Gesetz der Natur. Geht ab.
Lafeu
. Ein durchtriebener, boshafter Schelm!
Gräfin
. Das ist er. Mein seliger Graf machte sich vielen Spaß mit ihm. Nach seinem Willen darf er hier bleiben, und das hält er für einen Freibrief für seine Unverschämtheiten; und in der Tat, er bleibt nie auf der Bahn und rennt, wohin es ihm gefällt.
Lafeu
. Ich habe ihn gern; der Bursch ist nicht uneben. Ich war vorhin im Begriff, Euch zu sagen, daß ich, als ich den Tod der armen jungen Gräfin vernommen, und weil Euer Sohn auf der Heimreise ist, den König, meinen Herrn, ersucht habe, sich für meine Tochter zu verwenden; ein Vorschlag, den Seine Majestät, als beide noch Kinder waren, aus eignem Allerhöchsten Antriebe zuerst getan. Seine Hoheit hat mir’s zugesagt; und es gibt kein beßres Mittel, die Ungnade abzuwenden, die er gegen Euern Sohn gefaßt hat. Was sagt Ihr dazu, gnädige Frau?
Gräfin
. Ich bin ganz mit Euch einverstanden, mein Herr, und hoffe, Ihr führt es glücklich aus.
Lafeu
. Seine Hoheit kommt in Eil’ von Marseille, so frisch und rüstig, als zählte er dreißig; er wird morgen hier sein, oder ein Freund, der in solchen Dingen gewöhnlich gut unterrichtet ist, müßte mich getäuscht haben.
Gräfin
. Es freut mich, daß ich hoffen darf, ihn vor meinem Ende wiederzusehn. Ich habe Briefe, daß mein Sohn heut abend hier sein wird, und bitte Euch, gnädiger Herr, bei mir zu verweilen, bis sie hier zusammentreffen.
Lafeu
. Eben überlegte ich mir, gnädige Frau, auf welche Weise ich am besten Zutritt erhalten könnte.
Gräfin
. Ihr braucht nur das ehrenwerte Vorrecht Eures Namens geltend zu machen.
Lafeu
. Das habe ich nur allzu oft als zuverlässiges Geleit benutzt; und dem Himmel sei Dank, noch gilt es wohl.
Der Narr kommt zurück.
Narr
. O gnädige Frau, draußen ist der junge Graf, Euer Sohn, mit einem Samtpflaster auf dem Gesicht. Ob eine Schmarre drunter ist oder nicht, mag der Samt wissen; aber es ist ein stattliches Samtpflaster. Sein linker Backen ist ein Backen von drittehalb Haaren; aber sein rechter Backen ist kahl getragen.
Gräfin
. Eine rühmlich erhaltene Schmarre ist ein edles Abzeichen der Ehre: das wird auch diese wohl sein.
Narr
. Aber sein Gesicht sieht aus wie eine Karbonade.
Lafeu
. Laßt uns Euerm Sohn entgegen gehn, ich bitte Euch: ich sehne mich, den edlen jungen Krieger zu sprechen.
Narr
. Meiner Treu, draußen steht ein ganzes Dutzend von ihnen, mit allerliebsten feinen Hüten und überaus höflichen Federn, die sich verneigen und jedermann zunicken.
Alle gehn ab.
¶
FÜNFTER AUFZUG
Erste Szene
Straße in Marseille.
Helena, die Witwe und Diana treten auf.
Helena
.
Doch dies unmäß’ge Reisen, Tag und Nacht,
Muß Euch erschöpfen: ändern kann ich’s nicht:
Doch weil Ihr Nacht und Tag zu eins gemacht,
Daß mir zu Lieb’ Ihr kränkt den zarten Leib,
Faßt Mut! Ihr wuchst so fest in meiner Schuld,
Daß nichts Euch kann entwurzeln. – Wie erwünscht! –
Ein edler Falkonier tritt auf.
Der Mann kann mir Gehör beim König schaffen,
Wenn er sein Ansehn brauchen will. Gott grüß’ Euch!
Edelmann
.
Und Euch!
Helena
.
Mir scheint, ich sah Euch schon an Frankreichs Hof.
Edelmann
.
Ich war zu Zeiten dort.
Helena
.
Ich hoffe, Herr Ihr habt noch nicht verleugnet,
Was alle Welt von Eurer Güte rühmt:
Und drum, gedrängt von strenger Not des Schicksals,
Wo wir die Form vergessen, wend’ ich mich
An Eure Tugend, deren ich mit Dank
Fortan gedenken will.
Edelmann
.
Was ist Eu’r Wunsch?
Helena
.
Daß Ihr geruhn mögt,
Dies arme Blatt dem König einzuhänd’gen
Und mir mit Euerm Einfluß beizustehn.
Daß er mich hören wolle.
Edelmann
.
Der König ist nicht hier.
Helena
.
Nicht hier, Herr?
Edelmann
.
Nein,
Er reiste gestern nacht von hier, und schneller,
Als er sonst pflegt.
Witwe
.
Gott, welch vergeblich Mühn!
Helena
.
Ende gut, alles gut! Bleibt doch mein
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