Sämtliche Werke
Gesicht zu zeichnen, und der Verräter – bist du!
Clavigo .
Hören Sie mich, mein Herr – Ich bin – Ich habe – Ich zweifle nicht –
Beaumarchais .
Unterbrechen Sie mich nicht. Sie haben mir nichts zu sagen und viel von mir zu hören.
Nun, um einen Anfang zu machen, sein Sie so gütig, vor diesem Herrn, der express mit mir aus Frankreich gekommen ist, zu erklären: Ob meine Schwester durch irgendeine Treulosigkeit, Leichtsinn, Schwachheit, Unart oder sonst einen Fehler diese öffentliche Beschimpfung um Sie verdient habe.
Clavigo .
Nein, mein Herr. Ihre Schwester, Donna Maria, ist ein Frauenzimmer voll Geist, Liebenswürdigkeit und Tugend.
Beaumarchais .
Hat sie Ihnen jemals seit Ihrem Umgange eine Gelegenheit gegeben, sich über sie zu beklagen oder sie geringer zu achten?
Clavigo .
Nie! Niemals!
Beaumarchais (aufstehend) .
Und warum, Ungeheuer! Hattest du die Grausamkeit, das Mädchen zu Tode zu quälen? Nur weil dich ihr Herz zehn andern vorzog, die alle rechtschaffener und reicher waren als du.
Clavigo .
O mein Herr! Wenn Sie wüssten, wie ich verhetzt worden bin, wie ich durch mancherlei Ratgeber und Umstände –
Beaumarchais .
Genug! (Zu Saint George.) Sie haben die Rechtfertigung meiner Schwester gehört; gehen Sie und breiten Sie es aus. Was ich dem Herrn weiter zu sagen habe, braucht keine Zeugen.
Clavigo (steht auf. Saint George geht) .
Beaumarchais .
Bleiben Sie! Bleiben Sie! (Beide setzen sich wieder.) Da wir nun so weit sind, will ich Ihnen einen Vorschlag tun, den Sie hoffentlich billigen werden.
Es ist Ihre Konvenienz und meine, dass Sie Marien nicht heiraten, und Sie fühlen wohl, dass ich nicht gekommen bin, den Komödienbruder zu machen, der den Roman entwickeln und seiner Schwester einen Mann schaffen will. Sie haben ein ehrliches Mädchen mit kaltem Blute beschimpft, weil Sie glaubten, in einem fremden Lande sei sie ohne Beistand und Rächer. So handelt ein Niederträchtiger, ein Nichtswürdiger. Und also, zuvörderst erklären Sie eigenhändig, freiwillig, bei offenen Türen, in Gegenwart Ihrer Bedienten: Dass Sie ein abscheulicher Mensch sind, der meine Schwester betrogen, verraten, sie ohne die mindeste Ursache erniedrigt hat; und mit dieser Erklärung geh’ ich nach Aranjuez, wo sich unser Gesandter aufhält, ich zeige sie, ich lasse sie drucken, und übermorgen ist der Hof und die Stadt davon überschwemmt. Ich habe mächtige Freunde hier, habe Zeit und Geld, und das alles wend’ ich an, um Sie auf alle Weise aufs grausamste zu verfolgen, bis der Zorn meiner Schwester sich legt, befriedigt ist, und sie mir selbst Einhalt tut.
Clavigo .
Ich tue diese Erklärung nicht.
Beaumarchais .
Das glaub’ ich; denn vielleicht tät’ ich sie an Ihrer Stelle ebenso wenig. Aber hier ist das andere: Schreiben Sie nicht, so bleib’ ich von diesem Augenblick bei Ihnen, ich verlasse Sie nicht, ich folge Ihnen überallhin, bis Sie, einer solchen Gesellschaft überdrüssig, hinter Buenretiro meiner los zu werden gesucht haben. Bin ich glücklicher als Sie: Ohne den gesandten zu sehn, ohne mit einem Menschen hier gesprochen zu haben, fass’ ich meine sterbende Schwester in meine Arme, hebe sie in den Wagen und kehre mit ihr nach Frankreich zurück. Begünstigt Sie das Schicksal, so hab’ ich das Meine getan, und so lachen Sie denn auf unsere Kosten. Unterdessen das Frühstück!
Beaumarchais zieht die Schelle. Ein Bedienter bringt die Schokolade. Beaumarchais nimmt seine Tasse und geht in der anstoßenden Galerie spazieren, die Gemälde betrachtend.
Clavigo .
Luft! Luft! – Das hat dich überrascht, angepackt wie einen Knaben – Wo bist du, Clavigo? Wie willst du das enden? – Wie kannst du das enden? – Ein schrecklicher Zustand, in den dich deine Torheit, deine Verräterei gestürzt hat! (Er greift nach dem Degen auf dem Tische.) Ha! Kurz und gut! – (Lässt ihn liegen.) – Und da wäre kein Weg, kein Mittel als Tod – oder Mord, abscheulicher Mord. – Das unglückliche Mädchen ihres letzten Trostes, ihres einzigen Beistandes zu berauben, ihres Bruders! – Des edeln, braven Menschen Blut sehen! – Und so den doppelten, unerträglichen Fluch einer vernichteten Familie auf dich zu laden! – O, das war die Aussicht nicht, als das liebenswürdige Geschöpf dich die ersten Stunden ihrer Bekanntschaft mit so viel Reizen anzog! Und da du sie verließest, sahst du nicht die grässlichen Folgen deiner Schandtat! – Welche Seligkeit wartete dein in ihren Armen! In der
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