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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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der Hand einen goldnen Pokal haltend, der ihm beständig mit Wein gefüllt wurde. Langsam bewegte sich der Wagen, und hinter ihm wirbelte die tanzende Ausgelassenheit der weinlaubgekrönten Männer und Weiber. Dem Wagen voran ging die Hofkapelle des Triumphators: der hübsche bausbäckige Junge mit der Doppelflöte im Maule; dann die hochgeschürzte Tamburinschlägerin, die mit den Knöcheln der umgekehrten Hand auf das klirrende Fell lostrommelte; dann die ebenso holdselige Schöne mit dem Triangel; dann die Hornisten, bocksfüßige Gesellen mit schönen, aber lasziven Gesichtern, welche auf wunderlich geschwungenen Tierhörnern oder Seemuscheln ihre Fanfaren bliesen; dann die Lautenspieler –
    Doch, lieber Leser, ich vergesse, daß du ein sehr gebildeter und wohlunterrichteter Leser bist, der schon lange gemerkt hat, daß hier von einem Bacchanale die Rede ist, von einem Feste des Dionysus. Du hast oft genug auf alten Basreliefen oder Kupferstichen archäologischer Werke die Triumphzüge gesehen, die jenen Gott verherrlichen, und wahrlich, bei deinem klassisch gebildeten Sinn würdest du nimmermehr erschrecken, wenn dir einmal plötzlich in der mitternächtlichen Abgeschiedenheit eines Waldes der schöne Spuk eines solchen Bacchuszuges nebst dem dazugehörigen betrunkenen Personale leiblich vor Augen träte – Höchstens würdest du einen leisen lüsternen Schauer, ein ästhetisches Grüseln empfinden beim Anblick dieser bleichen Versammlung, dieser anmutigen Phantome, die den Sarkophagen ihrer Grabmäler oder den Verstecken ihrer Tempelruinen entstiegen sind, um den alten fröhlichen Gottesdienst noch einmal zu begehen, um noch einmal mit Spiel und Reigen die Siegesfahrt des göttlichen Befreiers, des Heilandes der Sinnenlust, zu feiern, um noch einmal den Freudentanz des Heidentums, den Cancan der antiken Welt, zu tanzen, ganz ohne hypokritische Verhüllung, ganz ohne Dazwischenkunft der Sergeants de ville einer spiritualistischen Moral, ganz mit dem ungebundenen Wahnsinn der alten Tage, jauchzend, tobend, jubelnd: »Evoe Bacche!« Aber ach! lieber Leser, der arme Fischer, von welchem wir berichten, war keineswegs wie du in der Mythologie bewandert, er hatte gar keine archäologischen Studien gemacht, und er war von Schrecken und Angst ergriffen bei dem Anblick jenes schönen Triumphators mit seinen zwei wunderlichen Akoluthen, als sie ihrer Mönchstracht entsprungen; er schauderte ob der unzüchtigen Gebärden und Sprünge der Bacchanten, der Faunen, der Satyre, die ihm durch ihre Bocksfüße und Hörner ganz besonders diabolisch erschienen, und die gesamte Sozietät hielt er für einen Kongreß von Gespenstern und Dämonen, welche durch ihre Malefizien allen Christenmenschen Verderben zu bereiten suche. Das Haar sträubte sich auf seinem Haupte, als er die halsbrechend unmögliche Positur einer Mänade sah, die mit flatterndem Haar das Haupt zurückwarf und sich nur durch den Thyrsus im Gleichgewicht erhielt. Ihm selber, dem armen Schiffer, ward es wirr im Hirn, als er hier Korybanten erblickte, die mit den kurzen Schwertern ihrem eigenen Leibe Wunden beibrachten, tobsüchtig die Wollust suchend in dem Schmerze selbst. Die weichen, zärtlichen und doch zugleich grausamen Töne der Musik, die er vernahm, drangen in sein Gemüt wie Flammen, lodernd, verzehrend, grauenhaft. Aber als der arme Mensch jenes verrufene ägyptische Symbol erblickte, das in übertriebener Größe und bekränzt mit Blumen von einem schamlosen Weibe auf einer hohen Stange herumgetragen wurde: da verging ihm Hören und Sehen – und er stürzte nach seinem Kahne zurück und verkroch sich unter die Netze, zähneklappernd und zitternd, als hielte ihn Satan bereits an einem Fuße fest. Nicht lange darauf kamen die drei Mönche ebenfalls nach dem Kahne zurück und stießen ab. Als sie endlich am andern Seeufer landeten und ausstiegen, wußte der Fischer so geschickt seinem Versteck zu entschlüpfen, daß die Mönche meinten, er habe hinter den Weiden ihrer geharrt, und indem ihm einer von ihnen wieder mit eiskalten Fingern den Fährlohn in die Hand drückte, eilten sie stracks von hinnen.
    Sowohl seines eigenen Seelenheils wegen, das er gefährdet glaubte, als auch, um andere Christenmenschen vor Verderben zu bewahren, hielt sich der Fischer für verpflichtet, das unheimliche Begebnis dem geistlichen Gerichte anzuzeigen, und da der Superior eines nahe gelegenen Franziskanerklosters als Vorsitzer eines solchen Gerichtes und ganz besonders als

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