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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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wahnsinnig und bildete sich ein, er sei ein kleiner Gassenjunge, und zu unserer unheimlichsten Verwunderung sahen wir, wie er, der allmächtige Straßenbeherrscher, statt Ruhe zu stiften, uns zu dem lautesten Unfug aufforderte. »Ihr seid viel zu zahm«, rief er, »ich aber will euch zeigen, wie man Spektakel machen muß!« Und dabei fing ich an, wie ein Löwe zu brüllen oder wie ein Kater zu miauen, und er klingelte an den Häusern, daß die Türglocke abriß, und er warf Steine gegen die klirrenden Fensterscheiben, immer schreiend: »Ich will euch lehren, Jungens, wie man Spektakel macht!« Wir kleinen Buben amüsierten uns sehr über den Alten und liefen jubelnd hinter ihm drein, bis man ihn ins Irrenhaus abführte.
    Während der Lektüre der Börneschen Briefe dachte ich wahrhaftig immer an den alten Polizeivogt, und mir war oft, als hörte ich wieder seine Stimme: »Ich will euch lehren, wie man Spektakel macht!«
    In den mündlichen Gesprächen Börnes war die Steigerung seines politischen Wahnsinns minder auffallend, da sie im Zusammenhang blieb mit den Leidenschaften, die in seiner nächsten Umgebung wüteten, sich beständig schlagfertig hielten und nicht selten auch tatsächlich zuschlugen. Als ich Börne zum zweiten Male besuchte, in der Rue de Provence, wo er sich definitiv einquartiert hatte, fand ich in seinem Salon eine Menagerie von Menschen, wie man sie kaum im Jardin des Plantes finden möchte. Im Hintergrunde kauerten einige deutsche Eisbären, welche Tabak rauchten, fast immer schwiegen und nur dann und wann einige vaterländische Donnerworte im tiefsten Brummbaß hervorfluchten. Neben ihnen hockt auch ein polnischer Wolf, welcher eine rote Mütze trug und manchmal die süßlich-fadesten Bemerkungen mit heiserer Kehle heulte. Dann fand ich dort einen französischen Affen, der zu den häßlichsten gehörte, die ich jemals gesehen; er schnitt beständig Gesichter, damit man sich das schönste darunter aussuchen möge.. Das unbedeutendste Subjekt in jener Börneschen Menagerie war ein Herr *, der Sohn des alten *, eines Weinhändlers in Frankfurt am Main, der ihn gewiß in sehr nüchterner Stimmung gezeugt… eine lange, hagere Gestalt, die wie der Schatten einer Eau-de-Cologne-Flasche aussah, aber keineswegs wie der Inhalt derselben roch. Trotz seines dünnen Aussehens trug er, wie Börne behauptete, zwölf wollene Unterjacken; denn ohne dieselben würde er gar nicht existieren. Börne machte sich beständig über ihn lustig:
    »Ich präsentiere Ihnen hier einen *, es ist freilich kein * erster Größe, aber er ist doch mit der Sonne verwandt, er empfängt von derselben sein Licht… er ist ein untertäniger Verwandter der Herrn von Rothschild… Denken Sie sich, Herr *, ich habe diese Nacht im Traum den Frankfurter Rothschild hängen sehen, und Sie waren es, welcher ihm den Strick um den Hals legte…«
    Herr * erschrak bei diesen Worten, und wie in Todesangst rief er: »Herr Berne, ich bitte Ihnen, sagen Sie das nicht weiter… ich hab Grind…« – »Ich hab Grind« – wiederholte mehrmals der junge Mensch, und indem er sich gegen mich wandte, bat er mich mit leiser Stimme, ihm in eine Ecke des Zimmers zu folgen, um mir seine delikate »Posiziaun« zu vertrauen. »Sehen Sie«, flüsterte er heimlich, »ich habe eine delikate Posiziaun. Von der einen Seite ist Madame Wohl auf dem Wollgraben meine Tante, und auf der anderen Seite ist die Frau von Herrn von Rothschild auch sozusagen meine Tante. Ich bitte Ihnen, erzählen Sie nicht im Hause des Herrn Baron v. Rothschild, daß Sie mich hier bei Berne gesehen haben… ich hab Grind.«
    Börne machte sich über diesen Unglücklichen beständig lustig, und besonders hechelte er ihn wegen der mundfaulen und kauderwelschen Art, wie er das Französische aussprach. »Mein lieber Landsmann«, sagte er, »die Franzosen haben unrecht, über Sie zu lachen; sie offenbaren dadurch ihre Unwissenheit. Verständen sie Deutsch, so würden sie einsehen, wie richtig Ihre Redensarten konstruiert sind, nämlich vom deutschen Standpunkte aus… Und warum sollen Sie Ihre Nationalität verleugnen? Ich bewundere sogar, mit welcher Gewandtheit Sie Ihre Muttersprache, das Frankfurter Mauscheln, ins Französische übertragen… Die Franzosen sind ein unwissendes Volk und werden es nie dahin bringen, ordentlich Deutsch zu lernen. Sie haben keine Geduld… Wir Deutschen sind das geduldigste und gelehrigste Volk… Wieviel müssen wir schon als Knaben lernen! wieviel Latein!

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