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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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auf heutigen Tag geltend machte. Diese alte, unversöhnliche Abneigung gegen das Theater ist nichts als eine Seite jener Feindschaft, die seit achtzehn Jahrhunderten zwischen zwei ganz heterogenen Weltanschauungen waltet und wovon die eine dem dürren Boden Judäas, die andere dem blühenden Griechenland entsprossen ist. Ja, schon seit achtzehn Jahrhunderten dauert der Groll zwischen Jerusalem und Athen, zwischen dem Heiligen Grab und der Wiege der Kunst, zwischen dem Leben im Geiste und dem Geist im Leben; und die Reibungen, öffentliche und heimliche Befehdungen, die dadurch entstanden, offenbaren sich dem esoterischen Leser in der Geschichte der Menschheit. Wenn wir in der heutigen Zeitung finden, daß der Erzbischof von Paris einem armen toten Schauspieler die gebräuchlichen Begräbnisehren verweigert, so liegt solchem Verfahren keine besondere Priesterlaune zum Grunde, und nur der Kurzsichtige erblickt darin eine engsinnige Böswilligkeit. Es waltet hier vielmehr der Eifer eines alten Streites, eines Todeskampfs gegen die Kunst, welche von dem hellenischen Geist oft als Tribüne benutzt wurde, um von da herab das Leben zu predigen gegen den abtötenden Judäismus: die Kirche verfolgte in den Schauspielern die Organe des Griechentums, und diese Verfolgung traf nicht selten auch die Dichter, die ihre Begeisterung nur von Apollo herleiteten und den proskribierten Heidengöttern eine Zuflucht sicherten im Lande der Poesie. Oder ist gar etwa Ranküne im Spiel? Die unleidlichsten Feinde der gedrückten Kirche, während der zwei ersten Jahrhunderte, waren die Schauspieler, und die »Acta Sanctorum« erzählen oft, wie diese verruchten Histrionen auf den Theatern in Rom sich dazu hergaben, zur Lust des heidnischen Pöbels die Lebensart und Mysterien der Nazarener zu parodieren. Oder war es gegenseitige Eifersucht, was zwischen den Dienern des geistlichen und des weltlichen Wortes so bittern Zwiespalt erzeugte?
    Nächst dem asketischen Glaubenseifer war es der republikanische Fanatismus, welcher die Puritaner beseelte in ihrem Haß gegen die altenglische Bühne, wo nicht bloß das Heidentum und die heidnische Gesinnung, sondern auch der Royalismus und die adligen Geschlechter verherrlicht wurden. Ich habe an einem andern Orte gezeigt, wie viele Ähnlichkeit in dieser Beziehung zwischen den ehemaligen Puritanern und den heutigen Republikanern waltet. Mögen Apollo und die ewigen Musen uns vor der Herrschaft dieser letztern bewahren!
    Im Strudel der angedeuteten kirchlichen und politischen Umwälzungen verlor sich auf lange Zeit der Name Shakespeares, und es dauerte fast ein ganzes Jahrhundert, ehe er wieder zu Ruhm und Ehre gelangte. Seitdem aber stieg sein Ansehen von Tag zu Tag, und gleichsam eine geistige Sonne ward er für jenes Land, welches der wirklichen Sonne fast während zwölf Monate im Jahre entbehrt, für jene Insel der Verdammnis, jenes Botany Bay ohne südliches Klima, jenes steinkohlenqualmige, maschinenschnurrende, kirchengängerische und schlecht besoffene England! Die gütige Natur enterbt nie gänzlich ihre Geschöpfe, und indem sie den Engländern alles, was schön und lieblich ist, versagte und ihnen weder Stimme zum Gesang noch Sinne zum Genuß verliehen und sie vielleicht nur mit ledernen Porterschläuchen statt mit menschlichen Seelen begabt hat, erteilte sie ihnen zum Ersatz ein groß Stück bürgerlicher Freiheit, das Talent, sich häuslich bequem einzurichten, und den William Shakespeare.
    Ja, dieser ist die geistige Sonne, die jenes Land verherrlicht mit ihrem holdesten Lichte, mit ihren gnadenreichen Strahlen. Alles mahnt uns dort an Shakespeare, und wie verklärt erscheinen uns dadurch die gewöhnlichsten Gegenstände. Überall umrauscht uns dort der Fittich seines Genius, aus jeder bedeutenden Erscheinung grüßt uns sein klares Auge, und bei großartigen Vorfällen glauben wir ihn manchmal nicken zu sehen, leise nicken, leise und lächelnd.
    Diese unaufhörliche Erinnerung an Shakespeare und durch Shakespeare ward mir recht deutlich während meines Aufenthalts in London, während ich, ein neugieriger Reisender, dort von morgens bis in die späte Nacht nach den sogenannten Merkwürdigkeiten herumlief. Jeder lion mahnte an den größern lion, an Shakespeare. Alle jene Orte, die ich besuchte, leben in seinen historischen Dramen ihr unsterbliches Leben und waren mir eben dadurch von frühester Jugend bekannt. Diese Dramen kennt aber dortzulande nicht bloß der Gebildete, sondern auch jeder im

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