Sämtliche Werke
Nachtigallen abstach gegen die himmelhauchende Stimme Ophelias und wie armselig blöde die Blumen aussahen mit ihren bunten Gesichtern ohne Lächeln, wenn ich sie zufällig verglich mit dem holdseligen Munde Ophelias! Die schlanke Gestalt, wie wandlende Lieblichkeit schwebte sie neben mir einher.
Ach! das ist der Fluch schwacher Menschen, daß sie jedesmal, wenn ihnen eine große Unbill widerfährt, zunächst an dem Besten und Liebsten, was sie besitzen, ihren Unmut auslassen. Und der arme Hamlet zerstörte zunächst seine Vernunft, das herrliche Kleinod, stürzte sich durch verstellte Geistesverwirrung in den entsetzlichen Abgrund der wirklichen Tollheit und quälte sein armes Mädchen mit höhnischen Stachelreden… Das arme Ding! das fehlte noch, daß der Geliebte ihren Vater für eine Ratte hielt und ihn totstach… Da mußte sie ebenfalls von Sinnen kommen! Aber ihr Wahnsinn ist nicht so schwarz und brütend düster wie der Hamletische, sondern er gaukelt, gleichsam besänftigend, mit süßen Liedern um ihr krankes Haupt… Ihre sanfte Stimme schmilzt ganz in Gesang, und Blumen und wieder Blumen winden sich durch all ihr Denken. Sie singt und flechtet Kränze und schmückt damit ihre Stirn und lächelt mit ihrem strahlenden Lächeln, armes Kind!…
Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
Und zeigt im klaren Strom sein grünes Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen.
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit und trugen sie
Sirenengleich ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwergetrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.
Doch was erzähl ich euch diese kummervolle Geschichte. Ihr kennt sie alle von frühester Jugend, und ihr habt oft genug geweint über die alte Tragödie von Hamlet dem Dänen, welcher die arme Ophelia liebte, weit mehr liebte, als tausend Brüder mit ihrer Gesamtliebe sie zu lieben vermochten, und welcher verrückt wurde, weil ihm der Geist seines Vaters erschien und weil die Welt aus ihren Angeln gerissen war und er sich zu schwach fühlte, um sie wieder einzufügen, und weil er im deutschen Wittenberg vor lauter Denken das Handeln verlernt hatte und weil ihm die Wahl stand, entweder wahnsinnig zu werden oder eine rasche Tat zu begehn, und weil er als Mensch überhaupt große Anlagen zur Tollheit in sich trug.
Wir kennen diesen Hamlet, wie wir unser eignes Gesicht kennen, das wir so oft im Spiegel erblicken und das uns dennoch weniger bekannt ist, als man glauben sollte; denn begegnete uns jemand auf der Straße, der ganz so aussähe wie wir selber, so würden wir das befremdlich wohlbekannte Antlitz nur instinktmäßig und mit geheimen Schreck anglotzen, ohne jedoch zu merken, daß es unsere eignen Gesichtszüge sind, die wir eben erblickten.
Cordelia
(König Lear)
In diesem Stücke liegen Fußangel und Selbstschüsse für den Leser, sagt ein englischer Schriftsteller. Ein anderer bemerkt, diese Tragödie sei ein Labyrinth, worin sich der Kommentator verirren und am Ende Gefahr laufen könne, von dem Minotaur, der dort haust, erwürgt zu werden; er möge hier das kritische Messer nur zur Selbstverteidigung gebrauchen. Und in der Tat ist es jedenfalls eine mißliche Sache, den Shakespeare zu kritisieren, ihn, aus dessen Worten uns beständig die schärfste Kritik unserer eignen Gedanken und Handlungen entgegenlacht: so ist es fast unmöglich, ihn in dieser Tragödie zu beurteilen, wo sein Genius bis zur schwindligsten Höhe sich emporschwang.
Ich wage mich nur bis an die Pforte dieses Wunderbaus, nur bis zur Exposition, die schon gleich unser Erstaunen erregt. Die Expositionen sind überhaupt in Shakespeares Tragödien bewunderungswürdig. Durch diese ersten Eingangsszenen werden wir schon gleich aus unseren Werkeltagsgefühlen und Zunftgedanken herausgerissen und in die Mitte jener ungeheuern Begebenheiten versetzt, womit der Dichter unsere Seelen erschüttern und reinigen will. So eröffnet sich die Tragödie des »Macbeth« mit der Begegnung der Hexen, und der weissagende Spruch derselben unterjocht nicht
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