Sämtliche Werke
ersten Male, diese arme Glückliche, dieses reine Opfer der großen Passion.
Julie liebt zum ersten Male und liebt mit voller Gesundheit des Leibes und der Seele. Sie ist vierzehn Jahre alt, was in Italien soviel gilt wie siebzehn Jahre nordischer Währung. Sie ist eine Rosenknospe, die eben, vor unseren Augen, von Romeos Lippen aufgeküßt ward und sich in jugendlicher Pracht entfaltet. Sie hat weder aus weltlichen noch aus geistlichen Büchern gelernt, was Liebe ist; die Sonne hat es ihr gesagt, und der Mond hat es ihr wiederholt, und wie ein Echo hat es ihr Herz nachgesprochen, als sie sich nächtlich unbelauscht glaubte. Aber Romeo stand unter dem Balkone und hat ihre Reden gehört und nimmt sie beim Wort. Der Charakter ihrer Liebe ist Wahrheit und Gesundheit. Das Mädchen atmet Gesundheit und Wahrheit, und es ist rührend anzuhören, wenn sie sagt:
Du weißt, die Nacht verschleiert mein Gesicht,
Sonst färbte Mädchenröte meine Wangen
Um das, was du vorhin mich sagen hörtest.
Gern hielt’ ich streng auf Sitte, möchte gern
Verleugnen, was ich sprach: doch weg mit Förmlichkeit!
Sag, liebst du mich? Ich weiß, du wirst’s bejahn,
Und will dem Worte traun; doch wenn du schwörst,
So kannst du treulos werden; wie sie sagen,
Lacht Jupiter des Meineids der Verliebten.
O holder Romeo! Wenn du mich liebst:
Sag’s ohne Falsch! Doch dächtest du, ich sei
Zu schnell besiegt, so will ich finster blicken,
Will widerspenstig sein und nein dir sagen,
So du dann werben willst: sonst nicht um alles.
Gewiß, mein Montague, ich bin zu herzlich;
Du könntest denken, ich sei leichten Sinns.
Doch glaube, Mann, ich werde treuer sein
Als sie, die fremd zu tun geschickter sind.
Auch ich, bekenn ich, hätte fremd getan,
Wär ich von dir, eh’ ich’s gewahrte, nicht
Belauscht in Liebesklagen. Drum vergib!
Schilt diese Hingebung nicht Flatterliebe,
Die so die stille Nacht verraten hat.
Desdemona
(Othello)
Ich habe oben beiläufig angedeutet, daß der Charakter des Romeo etwas Hamletisches enthalte. In der Tat, ein nordischer Ernst wirft seine Streifschatten über dieses glühende Gemüt. Vergleicht man Julie mit Desdemona, so wird ebenfalls in jener ein nordisches Element bemerkbar; bei aller Gewalt ihrer Leidenschaft bleibt sie doch immer ihrer selbst bewußt und im klarsten Selbstbewußtsein Herrin ihrer Tat. Julie liebt und denkt und handelt. Desdemona liebt und fühlt und gehorcht, nicht dem eignen Willen, sondern dem stärkern Antrieb. Ihre Vortrefflichkeit besteht darin, daß das Schlechte auf ihre edle Natur keine solche Zwangsmacht ausüben kann wie das Gute. Sie wäre gewiß immer im Palazzo ihres Vaters geblieben, ein schüchternes Kind, den häuslichen Geschäften obliegend; aber die Stimme des Mohren drang in ihr Ohr, und obgleich sie die Augen niederschlug, sah sie doch sein Antlitz in seinen Worten, in seinen Erzählungen oder, wie sie sagt: »in seiner Seele«… und dieses leidende, großmütige, schöne, weiße Seelenantlitz übte auf ihr Herz den unwiderstehlich hinreißenden Zauber. Ja, er hat recht, ihr Vater, Seine Wohlweisheit der Herr Senator Brabantio: eine mächtige Magie war schuld daran, daß sich das bange, zarte Kind zu dem Mohren hingezogen fühlte und jene häßlich schwarze Larve nicht fürchtete, welche der große Haufe für das wirkliche Gesicht Othellos hielt…
Julias Liebe ist tätig, Desdemonas Liebe ist leidend. Sie ist die Sonnenblume, die selber nicht weiß, daß sie immer dem hohen Tagesgestirn ihr Haupt zuwendet. Sie ist die wahre Tochter des Südens, zart, empfindsam, geduldig, wie jene schlanken, großäugigen Frauenlichter, die aus sanskritischen Dichtungen so lieblich, so sanft, so träumerisch hervorstrahlen. Sie mahnt mich immer an die »Sakontala« des Kalidasa, des indischen Shakespeares.
Der englische Kupferstecher, dem wir das vorstehende Bildnis der Desdemona verdanken, hat ihren großen Augen vielleicht einen zu starken Ausdruck von Leidenschaft verliehen. Aber ich glaube bereits angedeutet zu haben, daß der Kontrast des Gesichtes und des Charakters immer einen interessanten Reiz ausübt. Jedenfalls aber ist dieses Gesicht sehr schön, und namentlich dem Schreiber dieser Blätter muß es sehr gefallen, da es ihn an jene hohe Schöne erinnert, die gottlob an seinem eignen Antlitz nie sonderlich gemäkelt hat und dasselbe bis jetzt nur in seiner Seele sah…
Ihr Vater liebte mich, lud oft mich ein.
Er fragte die Geschichte meines Lebens
Von Jahr
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