Sämtliche Werke
Reismehl und sehr viele Peitschenhiebe erhielt; die Schwarzen waren das gemeine Volk. –
Wir leben nicht mehr im Mittelalter, auch das gemeine Volk wird aufgeklärter, schlägt die Juden nicht mehr auf einmal tot und beschönigt seinen Haß nicht mehr mit der Religion; unsere Zeit ist nicht mehr so naiv glaubensheiß, der traditionelle Groll kleidet sich in modernen Redensarten, und der Pöbel in den Bierstuben wie in den Deputiertenkammern deklamiert wider die Juden mit merkantilischen, industriellen, wissenschaftlichen oder gar philosophischen Argumenten. Nur abgefeimte Heuchler geben noch heute ihrem Haß eine religiöse Färbung und verfolgen die Juden um Christi willen; die große Menge gesteht offenherzig, daß hier materielle Interessen zugrunde liegen, und sie will den Juden durch alle möglichen Mittel die Ausübung ihrer industriellen Fähigkeiten erschweren. Hier in Frankfurt z.B. dürfen jährlich nur vierundzwanzig Bekenner des mosaischen Glaubens heuraten, damit ihre Population nicht zunimmt und für die christlichen Handelsleute keine allzu starke Konkurrenz erzeugt wird. Hier tritt der wirkliche Grund des Judenhasses mit seinem wahren Gesichte hervor, und dieses Gesicht trägt keine düster fanatische Mönchsmiene, sondern die schlaffen, aufgeklärten Züge eines Krämers, der sich ängstigt, im Handel und Wandel von dem israelitischen Geschäftsgeist überflügelt zu werden.
Aber ist es die Schuld der Juden, daß sich dieser Geschäftsgeist bei ihnen so bedrohlich entwickelt hat? Die Schuld liegt ganz an jenem Wahnsinn, womit man im Mittelalter die Bedeutung der Industrie verkannte, den Handel als etwas Unedles und gar die Geldgeschäfte als etwas Schimpfliches betrachtete und deshalb den einträglichsten Teil solcher Industriezweige, namentlich die Geldgeschäfte, in die Hände der Juden gab; so daß diese, ausgeschlossen von allen anderen Gewerben, notwendigerweise die raffiniertesten Kaufleute und Bankiers werden mußten. Man zwang sie, reich zu werden, und haßte sie dann wegen ihres Reichtums; und obgleich jetzt die Christenheit ihre Vorurteile gegen die Industrie aufgegeben hat und die Christen in Handel und Gewerb’ ebenso große Spitzbuben und ebenso reich wie die Juden geworden sind, so ist dennoch an diesen letztern der traditionelle Volkshaß haftengeblieben, das Volk sieht in ihnen noch immer die Repräsentanten des Geldbesitzes und haßt sie. Sehen Sie, in der Weltgeschichte hat jeder recht, sowohl der Hammer als der Amboß.«
Porzia
(Kaufmann von Venedig)
»Wahrscheinlich wurden alle Kunstrichter von Shylocks erstaunlichem Charakter so geblendet und gefangen, daß sie ihrerseits Porzia ihr Recht nicht widerfahren ließen, da doch ausgemacht Shylocks Charakter in seiner Art nicht kunstreicher noch vollendeter ist als Porzias in der ihrigen. Die zwei glänzenden Figuren sind beide ehrenwert: wert, zusammen in dem reichen Bann bezaubernder Dichtung und prachtvoller, anmutiger Formen zu stehen. Neben dem schrecklichen, unerbittlichen Juden, gegen seine gewaltigen Schatten durch ihre Glanzlichter abstechend, hängt sie wie ein prächtiger, schönheitatmender Tizian neben einem herrlichen Rembrandt.
Porzia hat ihr gehöriges Teil von den angenehmen Eigenschäften, die Shakespeare über viele seiner weiblichen Charaktere ausgegossen, neben der Würde aber, der Süßigkeit und Zärtlichkeit, welche ihr Geschlecht überhaupt auszeichnen, auch noch ganz eigentümliche, besondere Gaben: hohe geistige Kraft, begeisterte Stimmung, entschiedene Festigkeit und allem obschwebende Munterkeit. Diese sind angeboren; sie hat aber noch andere ausgezeichnete äußerlichere Eigenschaften, die aus ihrer Stellung und ihren Bezügen hervorgehen. So ist sie Erbin eines fürstlichen Namens und unberechenbaren Reichtums; ein Gefolg’ dienstwilliger Lustbarkeiten hat sie stets umgeben; von Kindheit an hat sie eine mit Wohlgerüchen und Schmeicheldüften durchwürzte Luft geatmet. Daher eine gebieterische Anmut, eine vornehme, hehre Zierlichkeit, ein Geist der Pracht in allem, was sie tut und sagt, als die von Geburt an mit dem Glänze Vertraute. Sie wandelt einher wie in Marmorpalästen, unter goldverzierten Decken, auf Fußböden von Zeder und Mosaiken von Jaspis und Porphyr, in Gärten mit Standbildern, Blumen und Quellen und geisterartig flüsternder Musik. Sie ist voll eindringender Weisheit, unverfälschter Zärtlichkeit und lebhaften Witzes. Da sie aber nie Mangel, Gram, Furcht oder Mißerfolg
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