Sämtliche Werke
Sessels und flüsterte der jungen Dame ins Ohr:
›Mademoiselle Laurence, wo ist denn die Mutter mit der Trommel?‹
›Sie ist tot‹, antwortete sie in demselben Tone, ebenso ruhig, gleichgültig, nachlässig.
Nach einer kurzen Pause beugte ich mich wieder über die Lehne des Sessels und flüsterte der jungen Dame ins Ohr: ›Mademoiselle Laurence, wo ist denn der gelehrte Hund?‹
›Er ist fortgelaufen in die weite Welt!‹ antwortete sie wieder in demselben ruhigen, gleichgültigen, nachlässigen Tone.
Und wieder nach einer kurzen Pause beugte ich mich über die Lehne des Sessels und flüsterte der jungen Dame ins Ohr: ›Mademoiselle Laurence, wo ist denn Monsieur Türlütü, der Zwerg?‹
›Er ist bei den Riesen auf dem Boulevard du Temple‹, antwortete sie. Sie hatte aber kaum diese Worte gesprochen, und zwar wieder in demselben ruhigen, gleichgültigen, nachlässigen Tone, als ein ernster alter Mann, von hoher militärischer Gestalt, zu ihr hintrat und ihr meldete, daß ihr Wagen vorgefahren sei. Langsam von ihrem Sitze sich erhebend, hing sie sich jenem an den Arm, und ohne auch nur einen Blick auf mich zurückzuwerfen, verließ sie mit ihm die Gesellschaft.
Als ich die Dame des Hauses, die den ganzen Abend am Eingange des Hauptsaales stand und den Ankommenden und Fortgehenden ihr Lächeln präsentierte, um den Namen der jungen Person befragte, die soeben mit dem alten Manne fortgegangen, lachte sie mir heiter ins Gesicht und rief: ›Mein Gott! wer kann alle Menschen kennen! ich kenne ihn ebensowenig…‹ Sie stockte, denn sie wollte gewiß sagen, ebensowenig wie mich selber, den sie ebenfalls an jenem Abende zum ersten Male gesehen. ›Vielleicht‹, bemerkte ich ihr, ›kann mir Ihr Herr Gemahl einige Auskunft geben; wo finde ich ihn?‹
›Auf der Jagd bei Saint-Germain‹, antwortete die Dame mit noch stärkerem Lachen, ›er ist heute in der Frühe abgereist und kehrt erst morgen abend zurück… Aber warten Sie, ich kenne jemanden, der mit der Dame, wonach Sie sich erkundigen, viel gesprochen hat; ich weiß nicht seinen Namen, aber Sie können ihn leicht erfragen, wenn Sie sich nach dem jungen Menschen erkundigen, dem Herr Casimir Périer einen Fußtritt gegeben hat, ich weiß nicht wo.‹
So schwer es auch ist, einen Menschen daran zu erkennen, daß er vom Minister einen Fußtritt erhalten, so hatte ich doch meinen Mann bald ausfindig gemacht, und ich verlangte von ihm nähere Aufklärung über das sonderbare Geschöpf, das mich so sehr interessierte und das ich ihm deutlich genug zu bezeichnen wußte. ›Ja‹, sagte der junge Mensch, ›ich kenne sie ganz genau, ich habe auf mehren Soireen mit ihr gesprochen‹ – und er wiederholte mir eine Menge nichtssagender Dinge, womit er sie unterhalten. Was ihm besonders aufgefallen, war ihr ernsthafter Blick, jedesmal, wenn er ihr eine Artigkeit sagte. Auch wunderte er sich nicht wenig, daß sie seine Einladung zu einer Contredanse immer abgelehnt, und zwar mit der Versicherung, sie verstünde nicht zu tanzen. Namen und Verhältnisse kannte er nicht. Und niemand, soviel ich mich auch erkundigte, wußte mir hierüber etwas Näheres mitzuteilen. Vergebens rann ich durch alle möglichen Soireen, nirgends konnte ich Mademoiselle Laurence wiederfinden.«
»Und das ist die ganze Geschichte?« rief Maria, indem sie sich langsam umdrehte und schläfrig gähnte, »das ist die ganze merkwürdige Geschichte? Und Sie haben weder Mademoiselle Laurence noch die Mutter mit der Trommel noch den Zwerg Türlütü und auch nicht den gelehrten Hund jemals wiedergesehn?«
»Bleiben Sie ruhig liegen«, versetzte Maximilian. »Ich habe sie alle wiedergesehen, sogar den gelehrten Hund. Er befand sich freilich in einer sehr schlimmen Not, der arme Schelm, als ich ihm zu Paris begegnete. Es war im Quartier latin. Ich kam eben der Sorbonne vorbei, und aus den Pforten derselben stürzte ein Hund und hinter ihm drein, mit Stöcken, ein Dutzend Studenten, zu denen sich bald zwei Dutzend alte Weiber gesellen, die alle im Chorus schreien: ›Der Hund ist toll!‹ Fast menschlich sah das unglückliche Tier aus in seiner Todesangst, wie Tränen floß das Wasser aus seinen Augen, und als er keuchend an mir vorbei rann und sein feuchter Blick an mich hinstreifte, erkannte ich meinen alten Freund, den gelehrten Hund, den Lobredner von Lord Wellington, der einst das Volk von England mit Bewunderung erfüllt. War er vielleicht wirklich toll? War er vielleicht vor lauter
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