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Unterm Messer

Unterm Messer

Titel: Unterm Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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[ 1. ]
    Essigsäure. Ich merke, wie meine Handflächen feucht werden. Ich versuche, ruhig zu atmen. Die Frau ist der Ohnmacht nahe, nicht imstande, sich zu wehren. Ich sehe den Behälter wie in Großaufnahme: braunes Glasgefäß, es fasst vielleicht einen Liter. Ich kann nichts, ich darf nichts unternehmen. Ich starre durch die Scheibe. Vorsichtig taucht er ein Stäbchen in die Säure. Nein, bitte nicht! Nahezu liebevoll verätzt er ihr das Gesicht. Zuerst die linke Wange, die Frau zuckt, ob sie auch stöhnt, kann ich von hier aus nicht hören. Ich will wegschauen, aber ich sehe gebannt hin. Dann die Nase. Ich bin nahe genug, um zu erkennen, dass die Haut der Frau bleich, fast weiß wird. Jetzt liegt sie ruhig, zu ruhig. Ich muss raus hier! Ich habe Professor Grünwald nicht kommen gehört. Ich sehe ihn voll Panik an. Ich sollte ruhig bleiben. Dann hätte ich eine bessere Chance ...
    „Trichloressigsäure“, murmelt er mir zu und beobachtet ungerührt, was sich hinter der Scheibe abspielt. „Wir können es natürlich auch mit Phenollösung machen, das geht dann tiefer.“
    „Sie ist ganz bleich“, antworte ich und versuche meinen Atem unter Kontrolle zu halten.
    „Das ist gut so“, erwidert der Professor und sieht mich forschend an. „Wie wäre es mit Ihnen?“
    Ich schüttle den Kopf, will lächeln, es misslingt. Wie komme ich hier ohne Gesichtsverlust raus? - Ohne Gesichtsverlust: Wie passend, Mira.
    „So ein mitteltiefes Peeling tut reifer Haut ausgesprochen gut“, fahrt der Professor fort.
    „Sie ist ganz weiß geworden und bewegt sich nicht mehr.“
    „Das nennt man ,Frosting‘. Die behandelten Hautpartien verfärben sich. Wir haben sie in einen leichten Dämmerschlaf versetzt. -Ist Ihnen nicht gut?“
    Zwei forschende allzu blaue Augen nähern sich meinem Gesicht.
    Ich schüttle den Kopf, der Raum dreht sich mit mir. „Ich brauche nur etwas frische Luft.“ Es hört sich für mich an, als redete ich aus einer Röhre. Ich gehe zur Tür, öffne sie. Niemand hält mich auf. Ich stehe in einem blitzend hellen Gang mit Marmorboden und weißen Wänden. Dort hinten muss die Toilette sein. Eine weiße Tür ohne Aufschrift. Abgesperrt. Vielleicht bin ich in die falsche Richtung ... Ich eile zurück, vorbei am Behandlungszimmer, keiner zu sehen. Zum Glück. Da. Jetzt aber wirklich. Toilette. Ich stürme hinein, drehe das kalte Wasser auf, lasse es über meine Hände rinnen, dann über mein Gesicht. Ich sehe in den Spiegel. Nasse Spuren auf den Wangen, erschrockene Augen, heute eher grau als blau. Zwischen Mundwinkel und Nase auf beiden Seiten eine Falte. Die Augenlider leicht angeschwollen, etwas hängend. Zwei feinere Falten auf der Stirn. Die Haare immer noch dicht und kurz und fransig geschnitten, ein wenig struppig. Am Hals Wassertropfen. Und einige Falten. Ein Fall für Professor Grünwald, den Meister seines Fachs, den Helden von Talkshows und Society-Events, den Besitzer eines Maserati. Wie hat er das Gesichtverätzen genannt? „Mitteltiefes Peeling“. Dann lieber Falten. Ich trinke gierig aus der hohlen Hand. Beruhige mich etwas. Ich habe eben zu viel Fantasie. Und ich bin ein Riesenfeigling, wenn es um Ärzte geht. Zahnarzt: Da packt mich regelmäßig schon im Wartezimmer die Panik. Impfungen: Spritzen lasse ich mir nur geben, wenn es unvermeidlich ist. Dass jemand meine vielleicht nicht mehr ganz taufrische, aber immerhin gesunde Haut verätzt, damit sie angeblich jünger und glatter nachwächst, passt einfach nicht zu meinem Lebenskonzept. Oder zu meiner Feigheit. Gar nicht zu reden von anderen „Wohltaten“ wie Fettabsaugung oder Lifting. Aber ich bin ja auch nicht hier, um mich verjüngen zu lassen. Ich bin hier, weil ich an einer Reportage über „Ästhetische Chirurgie“ arbeite. Und Professor Grünwald ist eben DER Star unter den vielen, die uns neue Schönheit und neues Glück und neue Jugend versprechen.
    Es klopft. Ich zucke zusammen. Wer klopft schon an die Tür einer öffentlich zugänglichen Toilette? Eilig wische ich mir mit einem Papierhandtuch die Wasserspuren aus dem Gesicht. Ein wenig Puder aufzulegen könnte nicht schaden. Tut nicht einmal weh.
    „Frau Valensky?“ Eine weibliche Stimme. Die Tür geht auf. Ein engelgleiches Wesen sieht mich an. Blonde Locken, zierlich, keine fünfundzwanzig, schlichtes weißes Kleid. Sehe ich da etwa schon ein Resultat von Professor Grünwalds Künsten? Wer weiß. Wo sich heutzutage angeblich bereits Sechzehnjährige eine neue Nase zum

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