Sämtliche Werke
›Putz mir die Lichter!‹, und Rothschild der Große würde mit Verwunderung sagen: ›Wär ich nicht Rothschild, so möchte ich so ein Lümpchen sein!‹«
Während Hyazinth solchermaßen, episch breit, nach seiner Gewohnheit, seine Ansichten entwickelte, erhob sich der Marchese von seinem Betkissen und trat zu uns, noch immer einige Paternoster durch die Nase schnurrend. Hyazinth zog jetzt den grünen Flor über das Madonnenbild, das oberhalb des Betpultes hing, löschte die beiden Wachskerzen aus, die davor brannten, nahm das kupferne Kruzifix herab, kam damit zu uns zurück und putzte es mit demselben Lappen und mit derselben spuckenden Gewissenhaftigkeit, womit er eben auch die Sporen seines Herrn geputzt hatte. Dieser aber war wie aufgelöst in Hitze und weicher Stimmung; statt eines Oberkleides trug er einen weiten, blauseidenen Domino mit silbernen Fransen, und seine Nase schimmerte wehmütig, wie ein verliebter Louisdor. »O Jesus!« – seufzte er, als er sich in die Kissen des Sofas sinken ließ – »finden Sie nicht, Herr Doktor, daß ich heute abend sehr schwärmerisch aussehe? Ich bin sehr bewegt, mein Gemüt ist aufgelöst, ich ahne eine höhere Welt,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit!«
»Herr Gumpel, Sie müssen einnehmen« – unterbrach Hyazinth die pathetische Deklamation –, »das Blut in Ihren Eingeweiden ist wieder schwindelig, ich weiß, was Ihnen fehlt –«
»Du weißt nicht« – seufzte der Herr.
»Ich sage Ihnen, ich weiß« – erwiderte der Diener und nickte mit seinem gutmütig betätigenden Gesichtchen –, »ich kenne Sie ganz durch und durch, ich weiß, Sie sind ganz das Gegenteil von mir, wenn Sie Durst haben, habe ich Hunger, wenn Sie Hunger haben, habe ich Durst; Sie sind zu korpulent und ich bin zu mager, Sie haben viel Einbildung, und ich habe desto mehr Geschäftssinn, ich bin ein Praktikus, und Sie sind ein Diarrhetikus, kurz und gut, Sie sind ganz mein Antipodex.«
»Ach Julia!« – seufzte Gumpelino – »wär ich der gelblederne Handschuh doch auf deiner Hand und küßte deine Wange! Haben Sie, Herr Doktor, jemals die Crelinger in ›Romeo und Julia‹ gesehen?«
»Freilich, und meine ganze Seele ist noch davon entzückt –«
»Nun dann« – rief der Marchese begeistert, und Feuer schoß aus seinen Augen und beleuchtete die Nase –, »dann verstehen Sie mich, dann wissen Sie, was es heißt, wenn ich Ihnen sage: Ich liebe! Ich will mich Ihnen ganz dekuvrieren. Hyazinth, geh mal hinaus –«
»Ich brauche gar nicht hinauszugehen« – sprach dieser verdrießlich –, »Sie brauchen sich vor mir nicht zu genieren, ich kenne auch die Liebe, und ich weiß schon –«
»Du weißt nicht!« rief Gumpelino.
»Zum Beweise, Herr Marchese, daß ich weiß, brauche ich nur den Namen Julia Maxfield zu nennen. Beruhigen Sie sich, Sie werden wiedergeliebt – aber es kann Ihnen alles nichts helfen. Der Schwager Ihrer Geliebten läßt sie nicht aus den Augen und bewacht sie Tag und Nacht wie einen Diamant.«
»O ich Unglücklicher« – jammerte Gumpelino –, »ich liebe und bin wiedergeliebt, wir drücken uns heimlich die Hände, wir treten uns unterm Tisch auf die Füße, wir winken uns mit den Augen, und wir haben keine Gelegenheit! Wie oft stehe ich im Mondschein auf dem Balkon und bilde mir ein, ich wäre selbst die Julia, und mein Romeo oder mein Gumpelino habe mir ein Rendezvous gegeben, und ich deklamiere, ganz wie die Crelinger:
›Komm Nacht! Komm Gumpelino, Tag in Nacht!
Denn du wirst ruhn auf Fittichen der Nacht,
Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken.
Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
Mir meinen Romeo oder Gumpelino –‹
Aber ach! Lord Maxfield bewacht uns beständig, und wir sterben beide vor Sehnsuchtsgefühl! Ich werde den Tag nicht erleben, daß eine solche Nacht kommt, wo jedes reiner Jugend Blüte zum Pfande setzt, gewinnend zu verlieren! Ach! so eine Nacht wäre mir lieber, als wenn ich das Große Los in der Hamburger Lotterie gewönne.«
»Welche Schwärmerei!« – rief Hyazinth – »das Große Los, 100.000 Mark!«
»Ja, lieber als das Große Los« – fuhr Gumpelino fort – »wär mir so eine Nacht, und ach! sie hat mir schon oft eine solche Nacht versprochen, bei der ersten Gelegenheit, und ich hab mir schon gedacht, daß sie dann des Morgens deklamieren wird, ganz wie die Crelinger:
›Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die eben
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