Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
Vom Netzwerk:
werden, je bedenklicher, würdeloser und unedler das System ist, das er zu verteidigen hat. Was ihm in der öffentlichen Meinung am förderlichsten, das ist seine Stellung neben Herrn Sebastiani, dem alten koketten Menschen mit dem aschgrauen Herzen und dem gelben Gesichte, worauf noch manchmal ein Stückchen Röte zu schauen, wie bei herbstlichen Bäumen, aus deren gelbem Laubwerk einige grellrote Blätter hervorgrinsen. Wahrlich, es gibt nichts Widerwärtigeres als diese aufgeblasene Nichtigkeit, die, obgleich für krank erklärt, noch oft in die Kammer kommt und sich auf die Ministerbank setzt, ein fades Lächeln um die Lippen und eine Dummheit auf der Zunge. Ich kann kaum begreifen, daß dieses wohl gantierte, niedlich chaussierte, schwächliche Männlein mit verschwimmenden Vapeuräuglein jemals große Dinge verrichten konnte, im Felde und im Rate, wie uns die Berichterstatter des russischen Rückzuges und der türkischen Gesandtschaft erzählen. Seine ganze Wissenschaft besteht jetzt nur noch aus einigen altabgenutzten Diplomatenstückchen, die in seinem blechernen Gehirne beständig klappern. Seine eigentlich politischen Ideen gleichen dem großen Riemen, welchen Karthagos Königin aus einer Kuhhaut schnitt und womit sie ein ganzes Land umspannte; der Ideenkreis des guten Mannes ist groß, umfaßt viel Land, aber er ist dennoch von Leder. Périer sagte einst von ihm: »Er hat eine große Idee von sich selbst, und das ist die einzige Idee, die er hat.«
    Ich habe den Kupido der Kaiserperiode, wie man Sebastiani genannt, neben dem Herkules der Justemilieu-Zeit, wie man Périer bezeichnet, nur deshalb hingestellt, damit dieser in völliger Größe erscheine. Wahrlich, ich möchte ihn lieber vergrößern als verkleinern, und dennoch kann ich nicht umhin zu gestehen, daß bei seinem Anblicke mir eine Gestalt ins Gedächtnis heraufsteigt, woneben er ebenso klein erscheint wie Sebastiani neben ihm. Ist es der Geist der Satire, der an die Gegensätze erinnert? Oder hat Casimir Périer wirklich eine Ähnlichkeit mit dem größten Minister, der jemals England regierte, mit George Canning? Aber auch andere Leute gestehen, daß er sonderbarerweise an diesen erinnere und irgendeine verborgene Verwandtschaft zwischen beiden vorhanden sei.
    Vielleicht in der Bürgerlichkeit der Geburt und der Erscheinung, in der Schwierigkeit der Lage, in der unerschütterlichen Tatkraft und im Widerstande gegen feudalaristokratischen Ankampf zeigt sich jene Ähnlichkeit zwischen Périer und Canning. Nimmermehr in ihrer Laufbahn und entfalteten Gesinnung. Ersterer, geboren und erzogen auf den weichen Polstern des Reichtums, konnte ruhig seine besten Neigungen entwickeln und ruhig teilnehmen an jener wohlhabenden Opposition, die der Bürgerstand während der Restaurationszeit gegen Aristokratie und Jesuitenschaft führte. Der andere hingegen, George Canning, geboren von unglücklichen Eltern, war das arme Kind einer armen Mutter, die ihn des Tags über traurig und weinend pflegte und des Abends, um Brot für ihn zu verdienen, aufs Theater steigen und Komödie spielen und lachen mußte; späterhin, aus dem kleinen Elend der Armut in das größere Elend einer glänzenden Abhängigkeit übergehend, erduldete er die Unterstützung eines Oheims und die Gönnerschaft eines hohen Adels.
    Unterschieden sich aber beide Männer durch die Lage, worein das Glück sie versetzt und lange Zeit erhalten hatte, so unterschieden sie sich noch mehr durch die Gesinnung, die sie offenbarten, als sie den Gipfel der Macht erreicht, wo endlich, frei von allem Zwange, das große Wort des Lebens ausgesprochen werden konnte. Casimir Périer, der nie abhängig gewesen, der immer die goldenen Mittel besaß, die Gefühle der Freiheit in sich zu erhalten, auszubilden, zu erhöhen: dieser wurde plötzlich kleinsinnig und krämerhaft; er beugte sich, seine Kräfte mißkennend, vor jenen Mächtigen, die er vernichten konnte, und bettelte um den Frieden, den er nur als Gnade gewähren durfte: er verletzt jetzt die Gastfreundschaft und beleidigt das heiligste Unglück, und, ein verkehrter Prometheus, stiehlt er den Menschen das Licht, um es den Göttern wiederzugeben. George Canning hingegen, weiland Gladiator im Dienste der Tories, als er endlich die Ketten der Geistessklaverei abschütteln konnte, erhob er sich in aller Majestät seines angebornen Bürgertums, und zum Entsetzen seiner ehemaligen Gönner, ein Spartakus von Downing Street, proklamierte er die bürgerliche und

Weitere Kostenlose Bücher