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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Oberrocke und mit seinen schwarzen Handschuhen. Diese betrachtete er manchmal, während er sprach, und wenn er dabei besonders nachsinnend aussah, dann dachte ich: Jetzt denkt er vielleicht an seine tote Mutter und an ihr langes Elend und an das Elend des übrigen armen Volkes, das im reichen England verhungert, und diese Handschuhe sind dessen Garantien, daß Canning weiß, wie ihm zumute ist, und ihm helfen will. In der Heftigkeit der Rede riß er einmal einen jener Handschuhe von der Hand, und ich glaubte schon, er wollte ihn der ganzen hohen Aristokratie von England vor die Füße werfen, als den schwarzen Fehdehandschuh der beleidigten Menschheit.
    Wenn ihn jene Aristokratie gerade nicht ermordet hat, ebensowenig wie jenen von St. Helena, der an einem Magenkrebse gestorben, so hat sie ihm doch genug kleine vergiftete Nadeln ins Herz gestochen. Man erzählte mir z.B., Canning erhielt in jener Zeit, als er eben ins Parlament ging, einen mit wohlbekanntem Wappen versiegelten Brief, den er erst im Sitzungssaale öffnete und worin er einen alten Komödienzettel fand, auf welchem der Name seiner verstorbenen Mutter unter dem Personale der Schauspieler gedruckt war. Bald darauf starb Canning, und jetzt, seit fünf Jahren, schläft er in Westminster neben Fox und Sheridan, und über den Mund, der so Großes und Gewaltiges gesprochen, zieht vielleicht eine Spinne ihr blödsinnig schweigendes Gewebe. Auch Georg IV. schläft jetzt dort in der Reihe seiner Väter und Vorfahren, die in steinernen Abbildungen auf den Grabmälern ausgestreckt liegen, das steinerne Haupt auf steinernen Kissen, Weltkugel und Zepter in der Hand; und rings um sie her, in hohen Särgen, liegt Englands Aristokratie, die vornehmen Herzöge und Bischöfe, Lords und Barone, die sich im Tode wie im Leben um die Könige drängen; und wer sie dort schauen will in Westminster, zahlt einen Schilling und sechs Pence. Dieses Geld empfängt ein armer, kleiner Aufseher, dessen Erwerbszweig es ist, die toten, hohen Herrschaften sehen zu lassen, und der dabei ihre Namen und Taten hinschnattert, als wenn er ein Wachsfigurenkabinett zeigte. Ich sehe gern dergleichen, indem ich mich dann überzeuge, daß die Großen der Erde nicht unsterblich sind, mein Schilling und sechs Pence hat mich nicht gereut, und als ich Westminster verließ, sagte ich zu dem Aufseher: »Ich bin mit deiner Exhibition zufrieden, ich wollte dir aber gern das Doppelte zahlen, wenn die Sammlung vollständig wäre.«
    Das ist es. Solange Englands Aristokraten nicht sämtlich zu ihren Vätern versammelt sind, solange die Sammlung in Westminster nicht vollständig ist, bleibt der Kampf der Völker gegen Bevorrechtung der Geburt noch immer unentschieden, und Frankreichs Bürgerallianz mit England bleibt zweifelhaft.
Artikel V
    Paris, 25. März 1832
    Der Feldzug nach Belgien, die Blockade von Lissabon und die Einnahme von Ancona sind die drei charakteristischen Heldentaten, womit das Justemilieu nach außen seine Kraft, seine Weisheit und seine Herrlichkeit geltend gemacht; im Innern pflückte es ebenso rühmliche Lorbeeren unter den Pfeilern des Palais Royal, zu Lyon und zu Grenoble. Nie stand Frankreich so tief in den Augen des Auslandes, nicht einmal zur Zeit der Pompadour und der Dubarry. Man merkt jetzt, daß es noch etwas Kläglicheres gibt als eine Mätressenherrschaft. In dem Boudoir einer galanten Dame ist noch immer mehr Ehre zu finden als in dem Comptoir eines Bankiers. Sogar in der Betstube Karls X. hat man nicht so ganz und gar der Nationalwürde vergessen, und von dort aus eroberte man Algier. Diese Eroberung soll, damit die Demütigung vollständig sei, jetzt aufgegeben werden. Diesen letzten Fetzen von Frankreichs Ehre opfert man dem Trugbilde einer Allianz mit England. Als ob die imaginäre Hoffnung derselben nicht schon genug gekostet habe! Dieser Allianz halber werden sich die Franzosen auch auf der Zitadelle von Ancona blamieren müssen, wie auf den Ebenen von Belgien und unter den Mauern von Lissabon.
    Im Innern sind die Beengnisse und Zerrissenheiten nachgerade so unleidlich geworden, daß sogar ein Deutscher die Geduld verlieren könnte. Die Franzosen gleichen jetzt jenen Verdammten in Dantes Hölle, denen ihr dermaliger Zustand so unerträglich geworden, daß sie nur diesem entzogen zu werden wünschen, und sollten sie auch dadurch in einen noch schlechtern Zustand geraten. So erklärt es sich, daß den Republikanern das legitime Regime und den Legitimisten die Republik viel

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