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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Testamente von St. Helena, dem jungen Reichstadt überliefert worden, nicht Frankreich anheimfallen. Jede der französischen Parteien könnte ein Stück aus diesem Nachlasse sehr gut brauchen. Und wahrlich, wenn ich darüber zu verfügen hätte, so sollte die Verteilung folgendermaßen stattfinden: Den Republikanern würde ich das Schwert des Kaisers überliefern, dieweil sie noch die einzigen sind, die es zu gebrauchen verständen. Den Herren vom Justemilieu würde ich den Mantel von Marengo zukommen lassen; und, in der Tat, sie bedürfen eines solchen Mantels, um ihre ruhmlose Blöße damit zu bedecken. Den Karlisten gebe ich des Kaisers Hut, der freilich für solche Köpfe nicht sehr passend ist, aber ihnen doch zugute kommen kann, wenn sie nächstens wieder aufs Haupt geschlagen werden; ja, ich gebe ihnen auch die kaiserlichen Stiefel, die sie ebenfalls brauchen können, wenn sie nächstens wieder davonlaufen müssen. Was aber den Stock betrifft, womit der Kaiser bei Jena spazierengegangen, so zweifle ich, ob derselbe sich unter der herzoglich Reichstädtischen Verlassenschaft befindet, und ich glaube, die Franzosen haben ihn noch immer in Händen.
    Nächst dem Tode des jungen Napoleon hörte ich die Fahrten der Herzogin von Berry in diesen Provinzen am meisten besprechen. Die Abenteuer dieser Frau werden hier so poetisch erzählt, daß man glaubt, die Enkel der Fabliauxdichter hätten sie in müßiger Laune ersonnen. Dann gab auch die Hochzeit von Compiègne sehr viel Stoff zur Unterhaltung; ich könnte eine Insektensammlung von schlechten Witzen mitteilen, die ich in einem karlistischen Schlosse darüber debitieren hörte. Z.B. einer der Festredner in Compiègne soll bemerkt haben, in Compiègne sei die Jungfrau von Orleans gefangen worden, und es füge sich jetzt, daß wieder in Compiègne einer Jungfrau von Orleans Fesseln angelegt würden. – Obgleich in allen französischen Blättern aufs prunkhafteste erzählt wird, daß der Zusammenfluß von Fremden hier sehr groß und überhaupt das Badeleben in Dieppe dieses Jahr sehr brillant sei, so habe ich doch an Ort und Stelle das Gegenteil gefunden. Es sind hier vielleicht keine fünfzig eigentliche Badegäste, alles ist trist und betrübt, und das Bad, das durch die Herzogin von Berry, die alle Sommer hieher kam, einst so mächtig emporblühte, ist auf immer zugrunde gegangen. Da viele Menschen dieser Stadt hiedurch in bitterste Armut versinken und den Sturz der Bourbone als die Quelle ihres Unglücks betrachten, so ist es begreiflich, daß man hier viele enragierte Karlisten findet. Dennoch würde man Dieppe verleumden, wenn man annähme, daß mehr als ein Vierteil seiner Bewohner aus Anhängern der vorigen Dynastie bestände. Nirgends zeigen die Nationalgarden mehr Patriotismus als hier, alle sind hier gleich beim ersten Trommelschlage versammelt, wenn exerziert werden soll; alle sind hier ganz uniformiert, welches letztere von besonderem Eifer zeugt. Das Napoleonsfest wurde dieser Tage mit auffallendem Enthusiasmus gefeiert.
    Ludwig Philipp wird hier im allgemeinen weder geliebt noch gehaßt. Man betrachtet seine Erhaltung als notwendig für das Glück Frankreichs; für sein Regiment ist man nicht sonderlich begeistert. Die Franzosen sind allgemein durch die freie Presse so wohlunterrichtet über die wahre Lage der Dinge, sie sind so politisch aufgeklärt, daß sie kleine Übel mit Geduld ertragen, um größeren nicht anheimzufallen. Gegen den persönlichen Charakter des Königs hat man wenig einzuwenden; man hält ihn für einen ehrenwerten Mann.
    Rouen, 17. September
    Ich schreibe diese Zeilen in der ehemaligen Residenz der Herzoge von der Normandie, in der altertümlichen Stadt, wo noch so viele steinerne Urkunden uns an die Geschichte jenes Volkes erinnern, das wegen seiner ehemaligen Heldenfahrten und Abenteuerlichkeit und wegen seiner jetzigen Prozeßsucht und Erwerblist so berühmt ist. In jener Burg dort hauste Robert der Teufel, den Meyerbeer in Musik gesetzt auf jenem Marktplatze verbrannte man die Pucelle, das großmütige Mädchen, das Schiller und Voltaire besungen; in jenem Dome liegt das Herz des Richard, des tapfern Königs, den man selber Löwenherz, Cœur de lion, genannt hat; diesem Boden entsproßten die Sieger von Hastings, die Söhne Tancreds und so viele andre Blumen normannischer Ritterschaft – aber diese gehen uns heute alle nichts an, wir beschäftigen uns hier vielmehr mit der Frage: Hat Ludwig Philipps friedsames System Wurzel

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