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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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entsetzlichsten Lärm vor den Häusern derselben und sangen dort wie wahnsinnig die Marseiller Hymne, jenes »Dies irae, dies illa« der neuen Kirche, das zunächst den Karlisten ihren jüngsten Gerichtstag verkündet.
    Da ich mich bald darauf ebenfalls nach Eu begab, so kann ich als Augenzeuge berichten, daß es keine angeordnete Begeisterung war, womit die Nationalgarden dort den König umjubelten. Er ließ sie die Revue passieren, war sehr vergnügt über die unverhohlene Freude, womit sie ihn anlachten, und ich kann nicht leugnen, daß in dieser Zeit des Zwiespalts und des Mißtrauens solches Bild der Eintracht sehr erbaulich war. Es waren freie, bewehrte Bürger, die ohne Scheu ihrem Könige ins Auge sahen, mit den Waffen in der Hand ihm ihre Ehrfurcht bezeugten und zuweilen mit männlichem Handschlage ihm Treue und Gehorsam zusagten. Ludwig Philipp nämlich, wie sich von selbst versteht, gab jedem die Hand. – Über dieses Händedrücken mokieren sich die Karlisten noch am meisten, und ich gestehe gern, der Haß macht sie zuweilen witzig, wenn sie jene »messéante popularité des poignées de main« persiflieren. So sah ich in dem Schlosse, dessen ich schon früher erwähnt, en petit comité eine Posse aufführen, wo aufs ergötzlichste dargestellt war, wie Fip I., König der Philister (épiciers), seinem Sohne Großkuken (grand poulot) Unterricht in der Staatswissenschaft gibt und ihn väterlich belehrt: er solle sich nicht von den Theoretikern verleiten lassen, das Bürgerkönigtum in der Volkssouveränetät zu sehen, noch viel weniger in der Aufrechthaltung der Charte; er solle sich weder an das Geschwätz der Rechten noch der Linken kehren; es komme nicht darauf an, ob Frankreich im Innern frei und im Auslande geehrt sei, noch viel weniger, ob der Thron mit republikanischen Institutionen barrikadiert oder von erblichen Pairs gestützt werde; weder die oktroyierten Worte noch die heroischen Taten seien von großer Wichtigkeit; das Bürgerkönigtum und die ganze Regierungskunst bestehe darin, daß man jedem Lump die Hand drücke. Und nun zeigt er die verschiedenen Handgriffe, wie man den Leuten die Hand drückt, in allen Positionen, zu Fuß, zu Pferd, wenn man durch ihre Reihen galoppiert, wenn sie vorbeidefilieren usw. Großkuken ist gelehrig, macht diese Regierungskunststücke aufs beste nach; ja, er sagt, er wolle die Erfindung des Bürgerkönigtums noch verbessern und jedesmal, wenn er einem Bürger die Hand drücke, ihn auch fragen: »Wie geht’s, mon vieux cochon?« oder, was synonym sei: »Wie geht’s, citoyen?« – »Ja, das ist synonym«, sagt dann der König ganz trocken, und die Karlisten lachten. Hernach will sich Großkuken im Händedrücken üben, zuerst an einer Grisette, nachher am Baron Louis; er macht aber jetzt alles zu plump, zerdrückt den Leuten die Finger; dabei fehlt es nicht an Verhöhnung und Verleumdung jener wohlbekannten Leute, die wir einst, vor der Juliusrevolution, als Lichter des Liberalismus feierten und die wir seitdem so gern als Servile herabwürdigen. Bin ich aber sonst dem Justemilieu nicht sehr gewogen, so regte sich doch in meinem Gemüte eine gewisse Pietät gegen die einst Hochverehrten; es regte sich wieder die alte Neigung, als ich sie geschmäht sah von jenen schlechtern Menschen. Ja, wie derjenige, der sich in der Tiefe eines dunkeln Brunnens befindet, am hellen, lichten Tage die Sterne des Himmels schauen kann, so habe ich, als ich in eine obskure Karlistengesellschaft hinabgestiegen war, wieder klar und rein die Verdienste der Justemilieu-Leute anerkennen können; ich fühle wieder die ehemalige Verehrung für den ehemaligen Herzog von Orleans, für die Doktrinäre, für einen Guizot, einen Thiers, einen Royer-Collard und für einen Dupin und andre Sterne, die durch das überflammende Tageslicht der Juliussonne ihren Glanz verloren haben.
    Es ist dann und wann nützlich, die Dinge von solch einem tiefen, statt von einem hohen Standpunkte zu betrachten. Zunächst lernen wir die Personen unparteiischer beurteilen, wenn wir auch die Sache hassen, deren Repräsentanten sie sind; wir lernen die Menschen des Justemilleu von dem Systeme desselben unterscheiden. Dieses letztere ist schlecht, nach unserer Ansicht, aber die Personen verdienen noch immer unsere Achtung, namentlich der Mann, dessen Stellung die schwierigste in Europa ist und der jetzt nur in dem Gedanken vom 13. März die Möglichkeit seiner Existenz sieht; dieser Erhaltungstrieb ist sehr menschlich.

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