Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
aus der Ferne klingen und kann die einzelnen Laute nicht unterscheiden.«
»Fabian!« fiel Pepe ein.
»Fa – bi – an –?« sprach Tiburcio, bei jeder Silbe auf seine eigene Stimme lauschend. »Fa – bi – an – ja, er ists, er ists; ich sehe ihre Lippen, wie sie sich öffnen, um ihn auszusprechen, und jetzt höre ich ihn so deutlich, als ob sie vor mir stünde, um mich zu rufen.«
Bois-rosé saß in vornübergebeugter Stellung da wie Einer, der auf etwas wartet, was er im heranrauschenden Fluge ergreifen und festhalten will. Sein Auge war unbeweglich auf das Gesicht Tiburcio’s gerichtet, und sein Ohr verschlang jedes Wort aus dem Munde desselben.
»Weiter, weiter!« rief er ungeduldig.
»Das Zimmer ist offen. Sie nimmt mich auf ihre Arme und trägt mich hinaus. Wir stehen so hoch, so hoch, und tief unten liegt die See – – –«
»Das Balkonzimmer, das Balkonzimmer!« rief Pepe frohlockend.
»Dann nimmt mich ein Mann auf den Arm und trägt mich fort. Es ist finster, und der Mann droht mir, zu schweigen. Ein Schuß fällt und – – ja, jetzt weiß ich, wo die Narbe herkommt, ein Messer fährt mir über das Gesicht. Der Mann springt mit mir fort.«
»Wohin?« frug Pepe athemlos.
»Ich sehe Wasser, viel Wasser – – ich habe Hunger – ich dürste und weine, und niemand ist bei mir. Da neigt sich ein Mann über den Rand des Bootes und hebt mich zu sich hinüber.«
»Wie sieht er aus, Tiburcio, wie sieht er aus?« klang es aus dem Munde des Kanadiers.
»Er ist fürchterlich groß und hat ein finsteres Gesicht; aber er hat mich lieb und ich muß Vater zu ihm sagen.«
»Mein Gott, weiter, weiter, sonst ersticke ich!« drängte Rosenholz, indem sich seine Augen weit öffneten und einen Blick unendlicher Liebe über den Rastreador ergossen.
»Ich bin lange Zeit auf einem großen Schiffe und habe den Vater unendlich lieb.«
»Habt Ihr ihn wirklich lieb, Tiburcio, wirklich?«
»Ja; er ist so gut mit mir, so mild, ganz anders, als man es bei seinem riesenhaften Aeußern erwarten sollte. – Da gibt es einen entsetzlichen Lärm auf dem Schiffe; ich höre Kanonen donnern und Büchsen knallen; viele Stimmen rufen, schreien und brüllen. Der Vater kommt herab zu mir, schwarz vom Pulverdampf im Gesichte und über den ganzen Körper mit Blut bespritzt.«
»Was thut er, was sagt er?« frug Rosenholz in allerhöchster Spannung.
»Er sagt, ich soll niederknieen und beten.«
»Die Worte, die er redet, die Worte! Habt Ihr sie vergessen?«
»Nein. Er faltet nur die Hände und ruft: ›Bete, mein Sohn; der Tod ist da!‹ Dann eilt er wieder hinauf und – – –«
»Bete, mein Sohn; der Tod ist da! Hörst Du es, Pepe? Hörst Du die Worte, welche ich Dir tausendmal gesagt und erzählt habe? Er ist es, er ist es, Dormillon!«
Und den Rastreador in die Arme schließend und mit einer Macht an sich drückend, als wolle er ihn zermalmen, fuhr er fort:
»Der Mann, dieser Riese bin ich; und Du bist Fabian, mein Sohn, den ich liebte und um den ich die einzigen Thränen meines Lebens vergossen habe!«
»Ists wahr, ists möglich? Ihr mein Vater?« frug Tiburcio, vor Freude zitternd und die Umarmung von ganzem Herzen erwidernd.
»Ja, es ist wahr, ich bin Dein Vater, Dein Pflegevater, denn Dein rechter Vater ist längst todt, und Deine Mutter wurde ermordet.«
»Ermordet?«
»Ja; erstochen von diesem Don Estevan de Arechiza, oder Graf Antonio de Mediana!«
»Und wer waren meine Eltern?«
»Sage es ihm, Pepe; Du hast sie gekannt!«
»Euer Vater war der Graf Don Juan de Mediana und Eure Mutter Donna Luisa, die schönste Frau von Biskaya und Asturien.«
»Mein Vater ein Graf, ein spanischer Grand?«
»Ja, und zwar einer der reichsten und vornehmsten Granden des Königreiches.«
»Don Juan de Mediana! Und der Mörder meiner Mutter nennt sich auch de Mediana?«
»Sie waren Brüder. Der Mörder ist Euer eigener Oheim!«
»Mein Gott, mir schwindelt vor diesen Eröffnungen!«
»Er hat Euch an der Cisterne erkannt, das ist sicher, und Euch aus diesem Grunde, nicht allein wegen der Bonanza, ermorden wollen. Aber Gott hat Euch zur richtigen Stelle geführt. Pepe, der Schläfer, hat ein Kleines mit ihm abzurechnen, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr ihm dabei behilflich sein!« –
Während dieser Unterhaltung am Lagerfeuer fand eine andere in dem Zimmer Don Estevan de Arechi za’s statt.
Cuchillo stand vor ihm.
»Ich kann nicht dafür, Sennor! Hätte er die Wendung nicht gemacht, so wäre ihm meine Klinge ganz
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