Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
letztvergangenen Augenblicken mit Baraja und Oroche vorgehabt hatte.
»Kommt herüber, Sennor Tiburcio,« höhnte Arechiza. »Wir stehen im Begriffe, die Bonanza aufzusuchen!«
Fabian hatte sein Pferd bei dem Anblicke der zerstörten Brücke herumgerissen. Mit schlagenden Flanken stand es unter ihm; auch er zitterte vor Grimm und Aufregung.
»Gut, ich komme,« gab er zur Antwort.
Er ließ die hindernde Büchse zu Boden gleiten, zog das Messer, warf sein Pferd herum und ritt bis an die Büsche zurück, um einen Anlauf zu nehmen. Dann griff er die Zügel hoch, richtete sich im Bügel auf, drückte die Sporen an und flog wie ein Pfeil auf den Fluß zu.
Das fürchterliche Wagniß sollte nicht gelingen; das Pferd scheute bei dem Anblicke der schäumenden Tiefe, bäumte sich empor und warf sich zurück.
»Er hat Angst, der Junge. Drohen kann er, aber reiten nicht!« rief Don Estevan.
»Sennor Arechiza, was habt Ihr mit Tiburcio?« frug der ehrliche Diaz, der den ganzen Vorgang nicht begreifen konnte.
»Nur eine kleine Privatsache, die Euch nicht kümmert!«
»So laßt ihn ruhig gehen. Es ist unmöglich, herüberzukommen, und Ihr treibt ihn durch Euren Spott in den sicheren Tod.«
»Er mag ersaufen, wenn er es nicht lassen will!«
Fabian hatte sein Pferd zum zweiten Male zurückgelenkt, um den Anlauf von Neuem zu nehmen. Arechiza sah die todesverachtende Entschlossenheit in seinen jugendlichen Zügen und bemerkte, daß er das Messer emporhob, um es dem Pferde in den Hals zu stoßen, damit es durch den Schmerz zur größten Anstrengung getrieben werde.
»Er macht Ernst. Beim Teufel, er kommt! Cuchillo, Baraja, Oroche, schießt ihn nieder!«
Sofort richteten sich die Büchsen der drei Männer auf Fabian.
»Halt! Wer schießt, der stirbt!« donnerte da eine mächtige Stimme, welche das Brausen des Wassers weit überschallte.
Bois-rosé und Dormillon waren auf dem Platze angekommen und standen mit erhobenen Büchsen am diesseitigen Ufer. Sofort senkten sich die Gewehre der drei Banditen. Sie wußten, daß der »große Adler« seine Drohung wahr machen werde.
»Zurück, Fabian!« rief der Kanadier. »Du bist sonst verloren!«
»Fabian!« hallte es im Innern Arechiza’s wider. »Sie haben sich erkannt, Fabian und Pepe!«
Die Warnung Bois-rosés kam zu spät. Mit Anspannung aller Muskeln flog das Pferd dem Flusse zu, ein fürchterlicher Satz – es erreichte mit allen vier Hufen das jenseitige Ufer; aber da wich das von dem Zahne der Zeit zermürbte Gestein unter ihm – ein Schrei des Entsetzens aus dem Munde der beiden Jäger, ein Jubelruf Don Estevans – Roß und Reiter verschwanden mit lautem, gräßlichem Aufschlage in den Fluthen, aus deren tosendem und wirbelndem Chaos kein Entkommen möglich sein konnte. – –
IV
Die Insel im Rio Gilo
Jenseits des Präsidio Tubac liegen die ungeheuren Ebenen, welche Mexiko von den Vereinigten Staaten trennen, und nur durch die unbestimmten und abenteuerlichen Berichte der Jäger und Gambusino’s bekannt sind.
Durch einen Theil derselben windet sich der Rio Gilo unter den verschiedensten Namen mit seinen Nebenflüssen. Er entspringt in den entferntesten Gebirgen des Nordens und durchläuft unermeßliche Strecken sandigen Bodens, in denen man weit und breit keinen Baum zu sehen bekommt. Die Dürre und Monotonie dieser Gegenden wird blos durch die von dem Regenwasser ausgehöhlten Schluchten unterbrochen; aber dieses Wasser befruchtet nicht, sondern verwüstet blos.
Der steinigte Boden zeigt dem Reisenden nur die schroffen Abgründe und ausgetrockneten Strombetten, welche ihn auf seinem Wege hindern, ohne ihm oder seinem Pferde irgend welche Nahrung zu bieten. Der Büffel und der Damhirsch fliehen diese Einöden, wo nur ungern ein dünnes Gras zu wachsen scheint, welches verdorrt, noch ehe es vollständig emporgesproßt ist, und selbst der Indianer erscheint dort nur dann, wenn der brennende Wind aufgehört hat, welcher einen großen Theil des Jahres hindurch versengend in diesen Wüsten weht.
Nur am Wasser selbst ist eine bald armselige, bald wilde, verworrene Vegetation zu bemerken, die sich durch einige Niederungen oder auf der Zunge zwischen dem Flusse und einem seiner Nebenläufe vorgerungen hat. –
Es mochte vier Uhr Nachmittags sein, die Zeit, in welcher der Wind, obwohl noch durch die Rückwirkung des brennenden Sandes erhitzt, doch nicht mehr aus einem brennenden Ofen zu kommen scheint. Schon warf die sich im Westen senkende Sonne schiefe
Weitere Kostenlose Bücher