Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
zu werden; hätte ich hier etwas zu gebieten, so würde mit den vier Wagen ein Viereck gebildet, innerhalb dessen alle Menschen und Ochsen – – hihihihi – Menschen und Ochsen während der ganzen Nacht zu bleiben hätten. Dabei müßte von der Dunkelheit an bis zum frühen Morgen ein Posten sorgsam Wache halten.«
»Warum?«
»Weil ihr euch in Avijour befindet und nicht daheim in der Dresdener oder Leipziger Kreisdirektion.«
»Wo wir sind, das wissen wir genau. Um das zu erfahren, brauchen wir keinen Hanswurst zu fragen. Macht Euch also fort von hier, sonst schaffe ich Euch Spannfedern in die Beine!«
»Well, gehe schon, wenn ich mich nicht irre, habe es gut gemeint mit euch; aber wenn dem Esel zu wohl ist, so habe ich nichts dagegen, wenn er auf das Eis geht, um eine Polka zu probieren!«
Er drehte sich scharf um und entfernte sich nach dem Dorfe zu. Schmidt fuhr den Kantor unmutig an:
»Da hatten Sie uns einen saubern Kerl gebracht. Sah aus wie ein Harlekin und war dabei doch grob wie Bohnenstroh. Für solche Landsmänner muß ich danken.«
»Aber mit mir ist er vorher sehr zuvorkommend und freundlich gewesen,« wagte der Emeritus einzuwerfen. »Das war wohl die Folge davon, daß ich ihn hübsch dolce angesprochen habe, wie wir Musikkünstler uns auszudrücken pflegen, während Sie ihm sehr sforzando über den Mund gefahren sind.«
»Weil er wie ein Landstreicher dahergelaufen kam und – – –«
Schmidt war von einem lauten Ausrufe unterbrochen worden. Die beiden jungen Männer, welche die Wagen zu Pferde begleitet und von denen die Finders gesprochen hatten, waren am Flusse gewesen, um ihre verstaubten Pferde zu waschen; jetzt kamen sie zurückgeritten. Der eine von ihnen hatte ein sehr intelligentes Gesicht vom Schnitte und der hellen Farbe des Europäers, obgleich die letztere infolge der Sonnenglut beträchtlich gedunkelt war. Er mochte wohl achtzehn Jahre zählen und war von mehr breiter als hoher Figur. Noch interessanter war der Kopf des andern. Seine kühn modellierten Züge waren echt indianisch, doch nicht von der bei den Indsmen gewöhnlichen Schärfe, auch standen seine Backenknochen nicht so weit hervor. Die Farbe seines Gesichtes war ein mattes Bronce, zu welchem das helle Grau seiner scharfen Augen ebenso wie das Mittelblond seines Haares lebhaft kontrastierte. Seine Gestalt war schlanker, doch nicht weniger kräftig als diejenige seines Begleiters, mit welchem er jedenfalls im gleichen Alter stand. Beide waren nach europäischer Art gekleidet und, wie es schien, vortrefflich bewaffnet. Ebenso saßen beide sehr gut zu Pferde, zumal der Grauäugige, welcher mit seinem Tiere wie zusammengegossen schien. Die ser letztere hatte, als er, sich dem Lager nähernd, Sam Hawkens schnell von dannen gehen sah, den Ruf ausgestoßen, durch welchen Schmidt unterbrochen worden war.
»Was gibt’s? Was wollen Sie?« fragte dieser entgegen.
Der junge Mann trieb sein Pferd schnell näher und antwortete, vor Schmidt anhaltend, in deutscher Sprache doch mit fremdem Accent:
»Wer war der kleine Mann, welcher soeben von hier fortgegangen ist?«
»Warum?«
»Weil er mir bekannt vorkam. Seine Kleidung ist eine andre, und ich habe sein Gesicht nicht gesehen; aber sein Gang fällt mir auf. Hatte er einen Bart?«
»Ja.«
»Das stimmt! Die Augen?«
»Sehr klein.«
»Die Nase?«
»Fürchterlich.«
»Stimmt auch! Hatte er vielleicht falsches Haar?«
»Wie kann ich das wissen? Man fragt doch keinen Menschen bei der ersten Begegnung mit ihm, ob sein Haar echt ist!«
»Das thut man nicht; aber eine Perücke ist vom echten Haare mit dem ersten Blicke zu unterscheiden. Wissen Sie vielleicht, was er ist?«
»Einen Westmann nannte er sich.«
»Auch dieses stimmt. Hat er vielleicht seinen Namen genannt?«
»Ja.«
»Sam Hawkens etwa?«
»Nein. Er heißt Falke und ist ein Deutscher.«
»Sonderbar, aber doch erklärlich! Falke heißt englisch auch hawk. Viele Deutsche nehmen, wenn sie herüberkommen, englische Namen an; warum sollte jemand, der Falke heißt, sich nicht Hawkens nennen? Aber daß Sam Hawkens ein Deutscher ist, das glaube ich nicht; er hat nie davon gesprochen und sich auch stets so als Yankee gegeben, daß er jedenfalls westlich vom Atlantik geboren ist. Aber diese Gestalt und dieser eigentümliche, schleichende Gang! Jeder gute Westmann hat das Anschleichen gelernt; aber so pflegt nur Sam Hawkens zu schleichen. Doch halt, noch eine Frage: hat dieser Mann während des Gespräches vielleicht
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