Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
lachte Sam. »Aber die Sache mit der Leiter kommt mir nun auch einigermaßen bedenklich vor. Warum hat man sie hinaufgezogen? Hat man sie viel leicht schnell für ein andres Stockwerk gebraucht? Das wäre bei diesem Wetter ja wohl leicht möglich. Laßt einmal sehen, ob wir alle beisammen sind!«
Es stellte sich heraus, daß der Bankier und sein Buchhalter fehlten. Darum meinte Sam Hawkens befriedigt:
»Da bin ich beruhigt. Die gehören zu uns und müssen also auch noch zu uns herab. Die Leiter ist schnell anderwärts gebraucht worden, wenn ich mich nicht irre.«
»Aber warum hat mer da obe zugemacht und den Deckel offs Loch gelegt?« warf Droll ein.
»Das fragst du noch?« antwortete Frank. »Ich schäme mich wahrhaftig, daß du mein Vetter und Verwandter bist! Jeder vernünftige Mensch macht, wenn es regnet, die Klappe zu. Hier regnet es nicht bloß, sondern es gießt wie aus Badewannen. Darum is der Deckel zugemacht worden, damit es nich prima Visite uns off die Köppe regnen soll. Kannst du das begreifen?«
»Ja, lieber Freund und Vetter Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, weil du’s so deutlich zu mache verschtehst, habe ich’s verschtande.«
»Ja, das wird der Grund sein,« stimmte Sam bei. »Wir haben Zeit; bis der Häuptling herunterkommt, wollen wir uns einmal unsre heutige Wohnung ansehen. Wir können das, weil es eine Lampe gibt.«
Sie waren von dieser »Wohnung« keineswegs erbaut. Die Räume waren vollständig leer. Es gab keinen Sitz, keine Decke, keine Spur von Stroh, Heu oder Laub, woraus man auch nur für einen einzigen Menschen ein Lager hätte bereiten können. Das zog die Stimmung der durchnäßten Leute tief herab. Doch Sam verlor seinen Gleichmut noch immer nicht, sondern sagte, als sie wieder in den mittleren Raum zurückgekehrt waren:
»Das wird bald anders werden; laßt nur erst den Häuptling kommen. Dann werden wir alles erhalten, was wir brauchen.«
Schi-So, der junge Indianer, hatte sich an der Besichtigung der Räumlichkeiten nicht mit beteiligt. Er saß, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, am Boden und blickte sehr ernst vor sich hin. Jetzt, als er Sams tröstliche Worte hörte, brach er sein bisheriges Schweigen und sagte:
»Sam Hawkens irrt sich. Es wird nicht bald anders werden.«
»Wieso?« fragte der Genannte.
»Wir sind gefangen.«
»Gefangen? Alle Wetter! Woraus schließest du das?«
»Ich bin Indianer und weiß, woran ich bin, ihr seid erfahrene Westmänner und könnt das ebenso wissen. Als wir oben einstiegen, sah ich zwei Leitern, welche an dem nächsten Stockwerk lehnten. Wenn man schnell eine brauchte, warum hat man da nicht eine von diesen genommen, welche doch bequemer zu haben waren, sondern grad die unsrige emporgezogen?«
»Ah! Ich habe diese beiden Leitern auch gesehen. Da ist es allerdings sonderbar, daß man grad die unsrige genommen hat.«
»Und noch eins,« fuhr der Jüngling fort. »Wo ist Grinley, welcher sich den Namen eines Oelprinzen gibt?«
»Alle Wetter, ja, das ist richtig!« rief Sam in betroffenem Tone aus.
»Warum fehlen grad die beiden, welche er höchst wahrscheinlich betrügen will? Er weiß, daß wir es nicht zu dem Betruge kommen lassen werden; er will sie von uns trennen und hat sich zu diesem Zwecke an den Häuptling gewendet.«
»Aber wie und wann?«
»Denkt an die beiden Weißen, welche vor uns auf Forners Rancho gewesen sind! Er hat mit ihnen gesprochen; ich habe erfahren, daß er sogar mit dem einen längere Zeit hinter dem Hause gesteckt hat.«
»Wenn das wäre, so gäbe es freilich einen Zusammenhang, der mich bedenklich machen muß. Aber wie kann man es wagen, so viele Leute, wie wir sind, hier als Gefangene einzuschließen? Wir sind ausgezeichnet bewaffnet und können ausbrechen.«
»Wo?«
»Indem wir den Deckel öffnen.«
»Versucht das doch! Er geht gewiß nicht auf.«
»Dann durch die Außenmauer.«
»Die besteht aus Steinen und einem Mörtel, welcher sicher noch härter als Stein ist.«
»Durch die Decke.«
»Versucht es einmal, mit euern Messern hindurchzukommen!«
»Aber ich habe außer dem Häuptlinge nur Weiber und Kinder gesehen!«
»Die Krieger hatten sich versteckt. Sie sollen sich auf der Jagd befinden. Welch ein Wild gäbe es zu dieser Jahreszeit und in dieser öden Gegend zu jagen? Ihr wißt, daß mehrere Indianerstämme das Kriegsbeil ausgegraben haben. Wenn diese sich auf dem Kriegspfade befinden und zu jeder Zeit an jedem Orte erscheinen können, werden da andre so unvorsichtig sein, ihr
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