Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
festes Lager zu verlassen, indem sie auf die Jagd gehen und dabei ihr Leben riskieren? Gehen überhaupt die Puebloindianer in solchen Massen auf die Jagd? Leben sie nicht vielmehr von den Erträgnissen, welche sie in ihren Gärten ziehen?«
»Du hast recht. Deine Gründe sind nicht zu widerlegen.«
»Ja; wir sind gefangen.«
»So wollen wir uns überzeugen und vor allen Dingen versuchen, ob der Deckel da oben zu öffnen ist.«
Dick Stone und Will Parker mußten zusammentreten. Sam stieg auf ihre Schultern, so daß er den Deckel erreichen konnte, und stemmte sich mit aller Kraft gegen denselben – vergebens; er war nicht um einen halben Zoll zu bewegen.
»Es ist richtig; man hat uns eingeschlossen,« zürnte er, indem er wieder niederstieg. »Aber wir werden diesen Schuften zeigen, daß sie sich verrechnet haben.«
»In welcher Weise?« fragte Stone.
»Wir graben uns durch, entweder durch die Mauer oder durch die Decke. Wollen zunächst die erstere untersuchen.«
Bei dem Scheine des Lämpchens wurden erst in den verschiedenen Abteilungen der Etage mehrere Mauerstellen in Augenschein genommen. Es zeigte sich, daß die ganze Außenmauer, wie Schi-So gesagt hatte, in ihrer ganzen Länge aus dicken Steinen bestand, welche durch einen Mörtel verbunden waren, den kein Messer zu entfernen vermochte. Und andre, kräftigere Werkzeuge gab es nicht. Schi-So blieb auf seinem Platze sitzen, ohne sich an der Untersuchung zu beteiligen.
Nun blieb nur noch die Decke, durch welche vielleicht ein Ausgang erzwungen werden konnte. An der Untersuchung beteiligten sich alle Männer, indem je zwei sich zusammenstellten und ein dritter auf sie stieg, um mit dem Messer zu versuchen, ein Loch fertig zu bringen. Es stellte sich heraus, daß die eigentliche Unterlage aus einem eisenfesten Holze bestand, Knüppel an Knüppel nebeneinander gelegt, welches selbst seit Jahrhunderten nicht von der Feuchtigkeit angegriffen worden war und den Messern einen unbesieglichen Widerstand entgegensetzte, so daß man nicht einmal in Erfahrung bringen konnte, woraus die darauf liegenden Schichten bestanden.
Die Frauen hatten diesen Bemühungen mit banger Erwartung zugesehen; als sich dieselben als nutzlos erwiesen und die Versuche eingestellt wurden, rief Frau Rosalie zornig aus:
»Sollte man denn denken, daß es so schlechte Menschen in der Welt geben kann! Wir haben dieser indianischen Rasselbande nich das mindeste gethan und trotzdem schperren sie uns hier ein wie Schpitzbuben, die zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden sind. Wenn ich die Halunken jetzt hier hätte, Herr meines Lebens, wie wollte ich ihnen die Wahrheet sagen! Aber da sieht man wieder ‘mal, was dabei ‘rauskommt, wenn man sich off die Männer verläßt! Die sollen unsre natürlichen Beschützer sein; aber anschtatt offzupassen und uns zu beschützen, führen sie uns gradezu ins blaue Unglück ‘nein!«
»Sei doch schtille!« bat ihr Mann. »Du beleidigst ja die Herren mit deiner ewigen Zankerei.«
»Was? Wie? Ewig?« fragte sie erbost. »Seit wann habe ich denn geredet und geschprochen? Seit höchstens drei oder vier Sekunden. Und das nennst du ewig? Es is mir ganz egal, ob ich jemand beleidige, denn ich bin in meinem guten Rechte. Und wer recht hat, der braucht seine Zunge nich schtille schtehn zu lassen. Wir sind so dumm gewesen, uns einschperren zu lassen; ich bin nich schuld daran; aber fragen will ich doch, was wir nun zu erwarten haben und was mit uns geschehen wird?«
»Das fragen Sie noch?« antwortete der Hobble-Frank, indem es pfiffig um seine Mundwinkeln zuckte. »Es is doch ganz selbstverständlich, was mit uns geschehen wird.«
»Na, was denn zum Beischpiele?«
»Zuerscht werden wir gefesselt – – –«
»Etwa ooch wir Damen?«
»Natürlich! Dann bindet man uns an den Marterpfahl – – –«
»Uns Damen ooch?«
»Selbstverschtändlich! Und nachher werden wir ermordet – – –«
»Die Damen ooch?«
»Allemal! Und wenn wir dann tot sind, werden wir schkalpiert.«
»Dunner Sachsen! Doch nich etwa wir Damen ooch?«
»Freilich ooch! Die Roten pflegen die Weiber sogar lebendig zu schkalpieren; sie warten gar nich, bis sie tot sind, wissen Sie, weil die Damen schöneres und längeres Haar haben, was dem Schkalpe eenen viel größeren Wert verleiht – – –«
»Danke ergebenst für diese Schmeichelei!« fiel sie ihm in die Rede.
»Bitte sehr!« antwortete er. »Und sodann weil die Schkalphaut sich bei eener toten Leiche nich so gut losziehen
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