Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Titel: Saemtliche Werke von Karl May - Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
uns.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Und was für eener!«
    »Wer denn?«
    »Das erraten Sie nich?«
    »Nein.«
    »Hm, Sie können mir leid thun! Sie brauchen ihn bloß anzublicken, um ihm sofort anzusehen, daß er eene höchst seltene dichterische Formation im Kopfe trägt. Seine geistig edlen und melodisch delikaten Gesichtszüge beweisen das.«
    Der Kantor ließ seinen Blick prüfend von einem Reiter zum andern schweifen und erkundigte sich dann:
    »Wen meinen Sie denn?«
    Da wies Frank mit dem Zeigefinger auf sich selbst und ließ mit bedeutender Wucht das eine kleine Wörtchen hören:
    »Mich.«
    »Ah, sich selbst meinen Sie? Sie können dichten?«
    »Und aber wie!«
    »Unglaublich!«
    »Ach was, unglooblich! Ich kann alles! Das müssen Sie doch nu endlich bald bemerken! Sagen Sie mir een Wort, so mache ich sofort zwanzig Reime droff! In höchstens zwee oder drei Schtunden dichte ich Ihnen eenen Operntext zusammen, der sich gewaschen hat. Ich beherrsche meine Mutterschprache in eener so konsumierten Weise, daß die Reime nur so nach allen Seiten fliegen. Wenn Sie daran, zweifeln, gebe ich Ihnen die Erloobnis, mich zu prüfen.«
    »Sie zu prüfen? Das würden Sie mir übel nehmen.«
    »Fällt mir gar nich ein! Wie kann der Löwe oder der Adler dem Schperling etwas übel nehmen! Ich bin überhaupt nich übelnehmisch, wie sich bei meinem edlen Charakterbild von selber verschteht. Also schtellen Sie mir eene Offgabe; sagen Sie mir getrost, was ich dichten soll. Es fällt mir gar nich ein, Sie deshalb tot zu beißen.«
    »Nun wohl, machen wir einen Versuch. Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf; man erblickt einen großen Urwald; in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen. Was würden Sie ihn dabei singen lassen?«
    »Singen? Gar nischt natürlich!«
    »Nichts? Warum? Er muß doch etwas singen. Wenn der Vorhang aufgeht, will das Publikum doch etwas hören!«
    »Da wäre dieses Publikum schöne dumm! Winnetou – eenen Feind beschleichen – und dazu singen! Sehen Sie denn nich ein, daß der Feind das hören und also ausreißen würde?«
    »Ja, hier im wilden Westen. Aber wir reden doch von der Bühne. Er muß singen, unbedingt singen!«
    »Na, wenn er wirklich muß, wenn es so unbedingt notwendig is, daß er seine Schtimme erschallen läßt, so mag er also meinetwegen singen.«
    »Aber welche Worte? Das Publikum kennt ihn noch nicht; sein Gesang muß also sagen, wer er ist.«
    »Schön! Bin schon fertig. Er kriecht also an der Erde hin und singt dazu:
    Ich bin der große Winnetou,
In Amerika geboren,
Habe Oogen, aber nu!
Rechts und links zwee scharfe Ohren,
Krieche off dem Bauch im Grase,
Rieche alles mit der Nase.«
    Als er diese Reime deklamiert hatte, richtete er auf den Kantor einen triumphierenden Blick, als ob er nun die höchste Anerkennung erwarte. Als der Emeritus aber schwieg, fragte er:
    »Na, was sagen Sie dazu? Sind Sie erschtaunt oder nich?«
    »Nicht,« gestand der Gefragte.
    »Nich? Ich hoffe doch, daß Sie das, was Sie gehört haben, hochachtungsvoll zu schätzen wissen? Geben Sie Ihr Urteil ab!«
    »Ich würde Sie kränken!«
    »Nee. Es gibt keen Geschöpf unter mir, welches mich kränken könnte. Ich schwebe geistreich oben drüber!«
    »Gut, so sollen Sie erfahren, daß Sie Knüttelverse gemacht haben. Daß Winnetou in Amerika geboren ist, daß er Augen hat, daß er alles mit der Nase, nicht aber mit den Ohren riecht, daß diese letzteren sich links und rechts an seinem Kopfe befinden, daß er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauche kriecht – – das ist ja so selbstverständlich, daß man es gar nicht zu sagen und noch viel weniger zu singen braucht. Also bitte, machen Sie einen andern Reim!«
    Als der Hobble dieses Urteil hörte, wurden seine Augen immer größer, seine Brauen stiegen empor; er räusperte sich, als ob er glaube, nicht richtig gehört zu haben, öffnete dann den Mund und brach los:
    »Was sagen Sie da? Was haben Sie geschprochen? Was für Zeug hätte ich gemacht? Knüttelversche meenen Sie?«
    »Ja; so pflegt man solche Verse zu nennen, Herr Franke,« antwortete der Kantor unbefangen.
    »Knüttelversche, Knüttelversche! Hat man schon jemals so ‘was gehört! Ich, der berühmte Prairiejäger, Westmann und Hobble-Frank habe Knüttelversche gemacht! Da hört denn doch alles und verschiedenes off! Das hat mir noch keen Mensch gesagt, keen eenziger Mensch! Erscht fordern Sie mich off, zu

Weitere Kostenlose Bücher