Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Wohnung eine Wache gesetzt, welche ihm das Klingeln des dort befindlichen Telegraphenapparates melden sollte. Vom Schlafe war natürlich keine Rede. Die Vorbereitungen zur Bahnfahrt wurden zeitig getroffen. Für die vier Passagiere und ihre Pferde genügte ein sehr geräumiger Werkzeugwagen, in welchem einige bequeme Sitze hergestellt wurden. Als das Signal ertönte und die Meldung kam, daß die Maschine in Rocky-ground abgegangen sei, wurden die Pferde in den Wagen gebracht und für die Besitzer derselben noch ein steifer Grog als Abschiedstrunk gebraut. Nach Verlauf von anderthalb Stunden kam die Lokomotive angedampft; der Wagen wurde angehängt; die Reisenden nahmen Abschied und stiegen ein, und der Engineer sandte ihnen die Meldung voraus, daß man in Rocky-ground vier Passagiere zu erwarten habe.
Obgleich das Geleise nur ein provisorisches war und eine beträchtliche Dunkelheit herrschte, flog der kurze Zug mit der Geschwindigkeit eines Eiltrains dahin; das war so amerikanische Weise und Sorglosigkeit. Es tauchte während der ganzen Fahrt kein einziges Licht auf, weil es keinen Haltepunkt gab. Berge, Thäler, Prairien und Wälder waren nicht voneinander zu unterscheiden; es schien, als ob der Zug ohne Unterlaß durch einen endlosen Tunnel brause, und so waren die vier Männer froh, als endlich die Maschine ihre schrille Stimme hören ließ und auch die Lichter des Zieles vorn auftauchten.
Es brannten auch hier mehrere Feuer, bei deren Scheine man zunächst ein langgestrecktes, niedriges Gebäude erkannte, welches einen sehr breiten Eingang hatte. Das Innere schien mehrere Abteilungen zu besitzen, deren eine erleuchtet war. Am Pfosten der Thür lehnte eine schmale, nicht hohe Gestalt, welche in das lederne Habit eines Westmannes gekleidet war. Eine zweite Person stand näher am Geleise, trat, als der Zug hielt, an den Wagen heran, schob die halb offene Thür desselben vollends zurück und sagte:
»Rocky-ground! Steigt aus, Mesch’schurs! Bin doch neugierig, wegen welcher Art von Menschen der Kollege in Firwood-Camp eine nächtliche Extrafahrt veranstalten läßt.«
»Werdet es gleich sehen und erfahren, Sir,« antwortete Old Shatterhand. »Ich vermute natürlich, daß Ihr hier beamtet seid?«
»Bin der Engineer, Sir. Und Ihr?«
»Ihr werdet unsre Namen hören, wenn wir drin beim Lichte sind. Habt Ihr einen Platz, vier Pferde gut unterzustellen?«
»Werden sehen. Kommt nur erst selbst heraus.«
Er sah, als sie ausstiegen, einem nach dem andern ins Gesicht und brummte dann enttäuscht:
»Hm! Lauter Unbekannte! Sogar ein Roter dabei! Habe etwas andres gedacht!«
»Habt in uns wohl Vorgesetzte oder so etwas Aehnliches erwartet?« lachte Old Shatterhand. »Millionenaktionäre, was? Nehmt es nicht übel, daß wir sehr einfache Menschen Eure Nachtruhe stören! Wir werden gleich weiterreiten; dann könnt Ihr wieder schlafen.«
»Weiterreiten? Dann seid Ihr wohl nur so etwas wie Jäger oder Fallensteller?«
»Allerdings.«
»Und da mutet mir mein Kollege zu, mitten in der Nacht mich eines – – –«
Er wurde unterbrochen. Der schmächtige Mann an der Thür war näher getreten und sagte:
»Bin selbst auch neugierig, was für Mannskinder so mitten in der Nacht per Extrazug im wilden Westen herumkutschieren. Wenn man so in einer Weise – – –«
Er hielt inne. Old Shatterhand hatte ihm den Rücken zugekehrt, drehte sich aber bei dem Klange dieser bekannten Stimme schnell um. Der Kleine erblickte sein Gesicht, unterbrach sich mitten in der Rede und schrie:
»Old Shatterhand! Old Shatterhand!«
»Der Hobble-Frank, der Hobble-Frank!« antwortete dieser, grad ebenso erstaunt.
»Und Winnetou! Winnetou!« rief Frank weiter, als er nun auch den Apatschen erkannte.
»Uff!« antwortete dieser.
Er sagte nur dieses eine Wort, aber es lag in dem Tone desselben alles, was er bei dieser so unerwarteten Begegnung empfand.
»Wahrhaftig, sie sind es! Old Shatterhand und Winnetou!« wiederholte der Kleine, vor Freude beinahe außer sich. »Kommt in meine Arme; kommt an mein Herz, Mesch’schurs! Ich kann es nicht lassen, ich muß euch drücken und quetschen, ganz egal, ob ihr es übel nehmt oder nicht!«
Er schlang seine Arme bald um den einen, bald um den andern und rief dabei dem Beamten zu:
»Seht, Mister Engineer, das sind die beiden hochberühmten Westmänner, von denen ich Euch während des ganzen heutigen Abends erzählt habe. Wie hätte ich ahnen können, daß ich sie so schnell danach hier treffen
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