Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
wäre, um uns zu belauschen.«
»Was sagen Sie da?« fragte der Hobble-Frank, als er diese Worte hörte. »Es würde Ihnen lieb sein, wenn er uns belauscht hätte?«
»Ja.«
»Von eenem Feinde beobachtet zu werden, is aber doch schtets eene Sache, für die man sich bedanken muß?«
»Nein, wenigstens in diesem Falle nicht.«
»Das is mir so unverschtändlich, daß ich es nich begreifen kann, obgleich ich sonst een sehr offenes Gemüt und eene noch viel öffentlichere Fassungsgabe besitze. Wenn er uns belauscht hat, so weeß er doch zum Beispiel, daß wir gar nich das Thal heruntergeritten kommen, weil wir mit der Eisenbahn gefahren sind.«
»Wenn er das wüßte, grad dieses wäre mir lieb.«
»Hören Sie, Herr Shatterhand, haben Sie doch die Güte, und braten Sie mir eenen Storch! Unsre Eisenbahnfahrt is doch von allergrößter Wichtigkeet, und wenn so was Wichtiges verraten wird, da kann es keene guten Folgen haben!«
»Mache dir keine Gedanken, lieber Frank! Ich hoffe, daß du mich nicht für unvorsichtig oder gar für leichtsinnig hältst?«
»Das beileibe nich! So een horribler Gedanke kann sich unmöglich in meine leidenschaftliche Gegenliebe schtehlen. Sie wissen, daß Sie mein Vorbild, mein Beispiel, meine Richtschnur, mein Ideal und meine Musterkarte in jeder Beziehung sind; Sie leuchten mir voran off meinem Lebenswege wie die Kummetlaterne am Sattelpferde eenes Niederlausitzer Botenfuhrmannswagens; Sie sind mein Leitschtern, dem ich folge, wie die Hammelherde dem geliebten Schäfersmann; denken Sie sich doch nur, was für een ungeheures Vertrauen das meinerseits voraussetzt? Und da soll es möglich sein, daß ich Sie für leichtsinnig halte? Das würde ja die allergrößte Majestätsbeleidigung sein, freilich viel weniger an Ihrer als vielmehr an meiner Majestät!«
»So halte also diese deine Majestät bei allen ihren vier Zipfeln fest, indem du mir vertraust! Du wirst wahrscheinlich bald erfahren, daß ich recht gehabt habe. Ich werde mich mit Winnetou entfernen, um die Komantschen zu behorchen. Bleibt hier zurück, verhaltet euch still, und verlaßt diesen Ort auf keinen Fall eher, als bis wir zurückgekommen sind!«
»Aber wenn Sie nu aber nich zurückkommen?«
»Wir kommen, wenigstens einer von uns; darauf könnt ihr euch verlassen.«
Und sich an Winnetou wendend, fragte er diesen: »Weiß mein roter Bruder, wo die Feinde sich gelagert haben?«
»Ich weiß es,« antwortete der Häuptling der Apatschen.
»Ist es weit von hier?«
»Nein.«
»Sind sie schwer zu beschleichen?«
»Für andre würde es schwierig sein, für Old Shatterhand und mich aber ist es leicht. Mein Bruder mag mir folgen!«
Sie legten ihre Gewehre ab, weil diese ihnen beim Anschleichen hinderlich gewesen wären, und gingen. Sie hatten sich natürlich an Stelle ihrer gestohlenen vom Engineer zwei andre Gewehre einstweilen ausgeborgt. Winnetou führte seinen weißen Freund zunächst wohl zehn Minuten lang, ohne sonderliche Vorsicht anzuwenden, durch den Wald; dann erreichten sie eine Stelle, an welcher die stehenden Bäume aufhörten, desto mehr aber sahen sie liegende vor ihren Blicken. Die Riesen des Waldes lagen aus der Erde gewuchtet, mit gewaltigen Wurzelballen und viel zerschmetterten Kronen neben- und wirr durch-und übereinander. Es war ein Windbruch, einer jener Hurrikane, die man im wilden Westen, besonders in den südlichen Gegenden desselben, häufig findet. Hurrikan ist der plötzlich ausbrechende Orkan, welcher einen verhältnismäßig schmalen und scharf begrenzten Strich durcheilt und alles vor sich niederreißt, und Hurrikan nennt man auch den Verwüstungsbereich dieses Sturmes, der in Mittelamerika von noch viel verheerenderer Wirkung ist.
Zwischen den niedergeschmetterten und erstorbenen Stämmen war eine neue, junge Vegetation sehr dicht und ziemlich hoch schon aufgeschossen, so dicht, daß es selbst für ein Wild unmöglich schien, da durchzukommen.
»Hier hindurch?« sagte Old Shatterhand.
Winnetou nickte bejahend und fügte leise hinzu:
»Links hier ist der Felsen; da können wir nicht hinauf; rechts draußen liegt die Prairie, auf welcher die Pferde der Feinde grasen, da würden uns die Wächter sehen; jenseits des Hurrikan, der hier nicht über zweihundert Schritte breit ist, lagern die Krieger; wir müssen also durch.«
»Ist mein roter Bruder schon drüben gewesen?«
»Ja. Mein weißer Bruder wird sehr bald den tief versteckten Weg sehen, den ich mir habe bahnen müssen.«
»Weißt du,
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