Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
Prolog
Brynn Dharielle blickte mehrfach über ihre Schulter, als sie ihren kleinen, kräftigen Hengst Diredusk den steil abfallenden Bergpfad hinunterlenkte. Obschon die Grenze von Andur’Blough Inninness, des verwunschenen Elfentals, erst eine halbe Stunde hinter ihr lag, waren die schroffen Grate, die diese Stelle markierten, schon jetzt nicht mehr zu sehen. Die bergige Landschaft glich einem natürlichen Irrgarten, dessen Unübersichtlichkeit von Lady Dasslerond, Herrscherin der Touel’alfar, mit Hilfe von Magie zu völliger Undurchschaubarkeit gesteigert worden war. Brynn hatte den Pfad unterwegs sorgfältig markiert, gleichwohl war sie sich bewusst, dass sie große Schwierigkeiten haben würde, wieder zurückzufinden, selbst wenn sie auf der Stelle umkehren sollte.
Es war das erste Mal seit zehn Jahren, dass Brynn das nebelverhangene Tal verließ; im Grunde kam es ihr eher so vor, als sei sie im Begriff, ihre Heimat zu verlassen. Die Touel’alfar, die kleinwüchsigen Elfen Koronas mit ihren durchsichtigen Flügeln, waren ihr erschienen, als sie, verwaist und allein gelassen in den rauen und unwirtlichen Steppen To-gais, ein kleines Kind von gerade mal zehn Jahren gewesen war. Sie hatten sie bei sich aufgenommen, ihr zu essen gegeben und ihr Unterschlupf gewährt. Und, für Brynn weit wichtiger, sie hatten ihrem Leben einen Sinn gegeben: sie hatten sie ausgebildet und zur Hüterin gemacht.
Und jetzt schickten sie sie zurück in ihre Heimat, wo sie ihre Bestimmung finden sollte.
Eine Vorstellung, bei der sich das Gesicht der jungen, dunkelhäutigen Frau mit Sorgenfalten überzog, während sie unverwandt den hinter ihr liegenden Pfad entlang zu jenem Ort zurückblickte, den sie als ihr eigentliches Zuhause betrachtete und den sie sehr wahrscheinlich niemals wieder sehen würde. Tränen traten in ihre mandelförmigen Augen, die noch immer die strahlenden Augen eines Kindes waren, obwohl sie schon so viel gesehen hatten. Aydrian, den vierzehnjährigen Jungen, mit dem sie einen Teil ihrer Ausbildung zusammen verbracht hatte, vermisste sie schon jetzt. Sie hatte ihn oft als Nervensäge empfunden, und nicht selten hatte er sie schlicht rasend gemacht; tatsächlich aber war er das einzige andere menschliche Wesen, das sie in den letzten zehn Jahren zu Gesicht bekommen hatte, und sie war ihm zugetan wie einem Bruder.
Einem Bruder, den sie wahrscheinlich auch nie wieder sehen würde.
Brynn schüttelte energisch den Kopf, bis ihre rabenschwarze Mähne in Unordnung geriet, und wandte sich entschlossen wieder dem nach Süden führenden Pfad zu. Das Tal zu verlassen war für Brynn gewiss ein schweres Opfer, es war der Verzicht auf die Annehmlichkeiten und die Gesellschaft, die diesen Ort zu ihrem Zuhause gemacht hatten. Trotzdem hatte ihr Fortgang einen guten Grund, und wenn dieser Verlustschmerz das größte Opfer war, das man ihr abverlangte, dann dürfte der vor ihr liegende Weg leichter werden, als jeder, sie selbst eingeschlossen, je für möglich gehalten hätte.
Die Entscheidung über ihre Zukunft lag nicht in ihrer Hand. Im Gegenteil, dieser Weg war ihr bereits vor einem Jahrzehnt vorgezeichnet worden, als die behrenesischen Yatol-Priester mit ihren Armeen die Schraube der Gewaltherrschaft über To-gai angezogen und die letzten noch verbliebenen Spuren einer jahrtausendealten Kultur nahezu völlig ausgelöscht hatten. Brynns Weg war von jenem Moment an vorbestimmt gewesen, da Tohen Bardoh, einer dieser Yatol-Priester in den orangefarbenen Gewändern, sein schweres Krummschwert hochgerissen und ihren Vater mit einem Hieb enthauptet hatte; als Tohen und seine Speichellecker ihre Mutter verschleppt hatten, um sie wenig später ebenfalls zu töten.
Brynns Kiefermuskeln spannten sich an. Sie hoffte inständig, dass Tohen Bardoh noch lebte. Allein schon das Wiedersehen mit diesem Mann lohnte jedes noch so große Opfer.
Selbstverständlich war Brynn sich vollkommen darüber im Klaren, dass es bei dieser Reise um sehr viel mehr ging als um ihre persönliche Rache. Sie war aus einem ganz bestimmten Grund ausgebildet worden, für ein Ziel, das größer und wichtiger war als ihre Person. Ihre Aufgabe bestand darin, in die kalten, winddurchtosten Steppen von To-gai zurückzukehren, in jenes Land, dem ihre ganze Liebe galt, und die letzten Funken der dort einstmals existierenden Kultur aufzuspüren. Anschließend sollte sie, Brynn Dharielle, kaum mehr als fünf Fuß groß und gerade mal einhundert Pfund schwer, aus
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