Sämtliche Werke
hinunter, Karl drückte sich ans Geländer, um sie vorbeizulassen, und stieg, da nun oben Platz geworden war, hinauf. In einer Ecke der mit Holzgeländern versehenen Plattform - das Ganze sah wie das flache Dach eines schmalen Turmes aus - saß, die Arme entlang des Holzgeländers ausgestreckt, ein Herr, dem ein breites weißes Seidenband mit der Aufschrift: »Führer der zehnten Werbetruppe des Theaters von Oklahoma« quer über die Brust hing. Neben ihm stand auf einem Tischchen ein gewiß auch bei den Rennen verwendeter telephonischer Apparat, durch den der Führer offenbar alle notwendigen Angaben über die einzelnen Bewerber noch vor der Vorstellung erfuhr, denn er stellte Karl zunächst gar keine Fragen, sondern sagte zu einem Herrn, der mit gekreuzten Beinen, die Hand am Kinn, neben ihm lehnte: »Negro, ein europäischer Mittelschüler.« Und als sei damit der sich tief verneigende Karl für ihn erledigt, sah er die Treppe hinunter, ob nicht wieder jemand käme. Aber da niemand kam, hörte er manchmal dem Gespräch, das der andere Herr mit Karl führte, zu, blickte aber meistens über das Rennfeld hin und klopfte mit den Fingern auf das Geländer. Diese zarten und doch kräftigen, langen und schnell bewegten Finger lenkten zeitweilig Karls Aufmerksamkeit auf sich, obwohl ihn der andere Herr genügend in Anspruch nahm.
»Sie sind stellungslos gewesen?« fragte dieser Herr zunächst. Diese Frage, sowie fast alle anderen Fragen, die er stellte, waren sehr einfach, ganz unverfänglich, und die Antworten wurden überdies nicht durch Zwischenfragen nachgeprüft; trotzdem aber wußte ihnen der Herr durch die Art, wie er sie mit großen Augen aussprach, wie er ihre Wirkung mit vorgebeugtem Oberkörper beobachtete, wie er die Antworten mit auf die Brust gesenktem Kopfe aufnahm und hie und da laut wiederholte, eine besondere Bedeutung zu geben, die man zwar nicht verstand, deren Ahnung aber vorsichtig und befangen machte. Es kam öfters vor, daß es Karl drängte, die gegebene Antwort zu widerrufen und durch eine andere, die vielleicht mehr Beifall finden würde, zu ersetzen, aber er hielt sich doch immer noch zurück, denn er wußte, welch schlechten Eindruck ein derartiges Schwanken machen mußte und wie unberechenbar überdies die Wirkung der Antworten meist war. Überdies aber schien ja seine Aufnahme schon entschieden zu sein, dieses Bewußtsein gab ihm Rückhalt.
Die Frage, ob er stellungslos gewesen sei, beantwortete er mit einem einfachen »Ja«. »Wo waren Sie zuletzt angestellt?« fragte dann der Herr. Karl wollte schon antworten, da hob der Herr den Zeigefinger und sagte noch einmal: »Zuletzt!« Karl hatte auch schon die erste Frage richtig verstanden, unwillkürlich schüttelte er die letzte Bemerkung als beirrend mit dem Kopfe ab und antwortete: »In einem Büro.« Das war noch die Wahrheit, würde aber der Herr eine nähere Auskunft über die Art des Büros verlangen, so mußte er lügen. Aber das tat der Herr nicht, sondern stellte die überaus leicht ganz wahrheitsgemäß zu beantwortende Frage: »Waren Sie dort zufrieden?«
»Nein!« rief Karl, ihm fast in die Rede fallend. Bei einem Seitenblick bemerkte Karl, daß der Führer ein wenig lächelte. Karl bereute die unbedachte Art seiner letzten Antwort, aber es war zu verlockend gewesen, das Nein hinauszuschreien, denn während seiner ganzen letzten Dienstzeit hatte er nur den größten Wunsch gehabt, irgendein fremder Dienstgeber möge einmal eintreten und diese Frage an ihn richten. Seine Antwort konnte aber noch einen anderen Nachteil bringen, denn der Herr konnte nun fragen, warum er nicht zufrieden gewesen sei. Statt dessen fragte er jedoch: »Zu welchem Posten fühlen Sie sich geeignet?« Diese Frage enthielt möglicherweise wirklich eine Falle, denn wozu wurde sie gestellt, da Karl doch schon als Schauspieler aufgenommen war? Obwohl er das aber erkannte, konnte er sich dennoch nicht zu der Erklärung überwinden, er fühle sich für den Schauspielerberuf besonders geeignet. Er wich daher der Frage aus und sagte, auf die Gefahr hin, trotzig zu erscheinen: »Ich habe das Plakat in der Stadt gelesen, und da dort stand, daß man jeden brauchen kann, habe ich mich gemeldet.«
»Das wissen wir«, sagte der Herr, schwieg und zeigte dadurch, daß er auf seiner früheren Frage beharrte.
»Ich bin als Schauspieler aufgenommen«, sagte Karl zögernd, um dem Herrn die Schwierigkeit, in die ihn die letzte Frage gebracht hatte, begreiflich zu machen.
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