Sämtliche Werke
zurückjagt.
KAMMERHERR: Sie kamen mit der Fürstin von einem fremden Hof, sind ein halbes Jahr hier und wollen in den komplizierten Hofverhältnissen gleich den Schnitt auf Gut und Böse hin führen?
OBERSTHOFMEISTER: Wer blinzelt, sieht nur Komplikationen. Wer die Augen offen hält, sieht in der ersten Stunde wie nach hundert Jahren das ewig Klare. Hier allerdings das traurig Klare, das sich aber schon in diesen Tagen einer hoffentlich guten Entscheidung nähert.
KAMMERHERR: Ich kann nicht glauben, daß die Entscheidung, die Sie herbeiführen wollen und von der ich nur die Ankündigung kenne, eine gute sein wird. Ich fürchte, Sie mißverstehen unseren Fürsten, den Hof und alles hier.
OBERSTHOFMEISTER: Ob verstanden oder mißverstanden, der gegenwärtige Zustand ist unerträglich.
KAMMERHERR: Er mag unerträglich sein, aber er kommt aus dem Wesen der Dinge hier und wir würden ihn bis zum Ende tragen.
OBERSTHOFMEISTER: Aber die Fürstin nicht, ich nicht, die zu uns halten, nicht.
KAMMERHERR: Worin sehen Sie denn das Unerträgliche?
OBERSTHOFMEISTER: Gerade angesichts der Entscheidung will ich offen reden. Der Fürst hat eine Doppelgestalt. Die eine beschäftigt sich mit der Regierung und schwankt geistesabwesend vor dem Volk, mißachtet die eigenen Rechte. Die andere sucht zugegebenermaßen sehr präzis nach Verstärkung ihres Fundaments. Sucht sie in der Vergangenheit und dort immerfort tiefer. Was für eine Verkennung der Sachlage! Eine Verkennung, die nicht ohne Größe ist, nur aber in ihrer Fehlerhaftigkeit noch größer als im Anblick. Kann Ihnen denn das entgehen?
KAMMERHERR: Nicht gegen die Beschreibung, nur gegen die Beurteilung wende ich mich.
OBERSTHOFMEISTER: Gegen die Beurteilung? Ich aber habe in der Hoffnung auf Ihre Zustimmung noch milder geurteilt, als es wirklich in meinem Sinn liegt. Ich halte das Urteil noch immer zurück, um Sie zu schonen. Nur dieses: Der Fürst bedarf in Wirklichkeit keiner Verstärkung seines Fundaments. Er gebrauche alle seine gegenwärtigen Machtmittel und er wird finden, daß sie genügen, um alles zu schaffen, was die höchstgespannte Verantwortung vor Gott und den Menschen von ihm fordern kann. Er scheut aber das Gleichgewicht des Lebens, er ist auf dem Wege zum Tyrannen.
KAMMERHERR: Und sein bescheidenes Wesen!
OBERSTHOFMEISTER: Bescheidenheit der einen Gestalt, weil er alle Kräfte für die zweite braucht, welche das Fundament zusammenscharrt, das etwa für den Babylonischen Turm ausreichen soll. Diese Arbeit ist zu hindern, das sollte die einzige Politik jener sein, denen an ihrem persönlichen Bestand, am Fürstentum, an der Fürstin und vielleicht sogar am Fürsten selbst gelegen ist.
KAMMERHERR: »Vielleicht sogar« - Sie sind sehr offenherzig. Ihre Offenherzigkeit macht mich, um die Wahrheit zu sagen, vor der angekündigten Entscheidung zittern. Und ich bedauere es, wie ich es in letzter Zeit immer mehr bedauert habe, dem Fürsten bis zur eigenen Wehrlosigkeit treu zu sein.
OBERSTHOFMEISTER: Alles ist klargestellt. Sie kokettieren nicht mit der Gegenpartei, sondern halten sogar eine Hand hin. Nur eine, das ist anerkennenswert für einen alten Hofbeamten. Doch bleibt Ihre einzige Hoffnung, daß unser großes Beispiel Sie mitreißt.
KAMMERHERR: Was ich dagegen tun kann, werde ich tun.
OBERSTHOFMEISTER: Es ängstigt mich nicht mehr auf den Wächter zeigend. Und du, der du so schön still sitzen kannst, hast du alles verstanden, was jetzt gesprochen wurde?
KAMMERHERR: Der Gruftwächter?
OBERSTHOFMEISTER: Der Gruftwächter. Man muß wahrscheinlich aus der Fremde kommen, um ihn zu erkennen. Nicht wahr, mein junge, altes Käuzchen du. Haben Sie ihn schon einmal am Abend durch den Forst fliegen sehn, von keinem Kunstschützen zu treffen. Aber bei Tage duckt er sich auf einen Wink.
KAMMERHERR: Ich verstehe nicht.
WÄCHTER fast weinend: Ihr zankt mit mir, Herr, und ich weiß nicht warum. Laßt mich, bitte, nach Hause gehn. Ich bin doch nichts Schlechtes, sondern der Gruftwächter.
KAMMERHERR: Sie mißtrauen ihm.
OBERSTHOFMEISTER: Mißtrauen? Nein, dazu ist er zu geringfügig. Aber ich will doch meine Hand auf ihn legen. Ich denke nämlich - nennen Sie es Laune oder Aberglauben - daß er nicht nur ein Werkzeug des Schlechten, sondern ganz ehrenhaft selbständiger Arbeiter im Schlechten ist.
KAMMERHERR: Er dient etwa dreißig Jahre ruhig dem Hofe, ohne vielleicht jemals im Schlosse gewesen zu sein.
OBERSTHOFMEISTER: Ach, solche Maulwürfe bauen lange
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