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Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Tochterkind die Decke über das Gesicht zu werfen. Sturm bläst herein, verlöscht das Licht im Nu. Herzog Friedrich! Sein Gesicht mit Bart und Haar erfüllt mein armes Fenster ganz und gar. Wie hat er sich entwickelt in den Jahrhunderten. Wenn er den Mund zum Reden öffnet, weht ihm der Wind den alten Bart zwischen die Zähne und er beißt in ihn.
    FÜRST: Warte, du sagst Herzog Friedrich. Welcher Friedrich?
    WÄCHTER: Herzog Friedrich, nur Herzog Friedrich.
    FÜRST: Er nennt so seinen Namen?
    WÄCHTER ängstlich: Nein, er nennt ihn nicht.
    FÜRST: Und trotzdem weißt du - abbrechend. Erzähle doch weiter!
    WÄCHTER: Soll ich weiter erzählen?
    FÜRST: Natürlich. Das geht mich ja sehr an, es ist hier ein Fehler in der Arbeitsverteilung. Du warst überlastet.
    WÄCHTER niederkniend: Nicht mir meinen Posten nehmen, Hoheit. Wenn ich so lange für dich gelebt habe, laß mich jetzt auch für dich sterben! Laß nicht vor mir das Grab vermauern, zu dem ich strebe. Ich diene gern und habe noch Fähigkeit zu dienen. Eine Audienz wie die heutige, ein Ausruhn beim Herrn, gibt mir Kraft für zehn Jahre.
    FÜRST setzt ihn wieder auf das Ruhebett: Niemand nimmt dir deinen Posten. Wie könnte ich dort deine Erfahrung entbehren! Ich werde aber noch einen Wächter bestimmen und du wirst Oberwächter werden.
    WÄCHTER: Genüge ich nicht? Habe ich jemals einen durchgelassen?
    FÜRST: In den Friedrichspark?
    WÄCHTER: Nein, aus dem Park. Wer will denn hinein? Bleibt einmal einer vor dem Gitter stehen, winke ich mit der Hand aus dem Fenster und er läuft davon. Aber hinaus, hinaus wollen alle. Nach Mitternacht kannst du alle Grabesstimmen um mein Haus versammelt sehn. Ich glaube, nur weil sie sich so aneinanderdrängen, fahren sie nicht sämtlich mit allem, was sie sind, mir durch das enge Fensterloch herein. Wird es allerdings zu arg, hole ich die Laterne unter dem Bett heraus, schwenke sie hoch und sie reißen sich, unverständliche Wesen, mit Lachen und Jammern auseinander; noch im letzten Busch am Ende des Parkes höre ich sie dann rauschen. Aber bald sammeln sie sich wieder.
    FÜRST: Und sie sagen ihre Bitte?
    WÄCHTER: Zuerst befehlen sie. Herzog Friedrich vor allen. So zuversichtlich sind keine Lebendigen. Seit dreißig Jahren, jede Nacht erwartet er, mich diesmal mürbe zu finden.
    FÜRST: Wenn er seit dreißig Jahren kommt, kann es nicht Herzog Friedrich sein, der erst vor fünfzehn Jahren gestorben ist. Er ist aber der einzige dieses Namens in der Gruft.
    WÄCHTER zu sehr von dem Erzählten erfaßt: Das weiß ich nicht, Hoheit, ich habe nicht studiert. Ich weiß nur, wie er beginnt. »Alter Hund«, beginnt er beim Fenster, »die Herren klopfen und du bleibst in deinem Schmutzbett.« Gegen Betten haben sie nämlich immer Zorn. Und nun sprechen wir jede Nacht fast dasselbe. Er draußen, ich ihm gegenüber mit dem Rücken an der Tür. Ich sage: »Ich habe nur Tagdienst.« Der Herr wendet sich und ruft in den Park: »Er hat nur Tagdienst.« Daraufhin gibt es ein allgemeines Lachen des versammelten Adels. Dann sagt der Herzog wieder zu mir: »Es ist doch Tag.« Ich darauf kurz: »Sie irren.« Der Herzog: »Tag oder Nacht, öffne das Tor.« Ich: »Das ist gegen meine Dienstordnung.« Und ich zeige mit dem Pfeifenstock auf ein Blatt an der Wand. Der Herzog: »Du bist doch unser Wächter.« Ich: »Euer Wächter, aber von dem regierenden Fürsten angestellt.« Er: »Unser Wächter, das ist die Hauptsache. Also öffne, und zwar sofort.« Ich: »Nein.« Er: »Narr, du verlierst deinen Posten. Herzog Leo hat uns für heute eingeladen.«
    FÜRST schnell: Ich?
    WÄCHTER: Du.
    Pause.
    WÄCHTER: Wenn ich deinen Namen höre, verliere ich meine Festigkeit. Deshalb habe ich mich gleich aus Vorsicht an die Tür gelehnt, die mich jetzt fast allein aufrecht hält. Draußen singen alle deinen Namen. »Wo ist die Einladung?« frage ich schwach. »Bettvieh«, schreit er, »du zweifelst an meinem herzoglichen Wort?« Ich sage: »Ich habe keine Weisung und deshalb öffne ich nicht, öffne ich nicht, öffne ich nicht.« »Er öffnet nicht«, ruft der Herzog draußen, »also vorwärts, alle, die ganze Dynastie, gegen das Tor, wir öffnen selbst.« Und im Augenblick ist es vor meinem Fenster leer.
    Pause.
    FÜRST: Das ist alles?
    WÄCHTER: Wie denn? Jetzt erst kommt mein eigentlicher Dienst. Hinaus aus der Tür, herum um das Haus, und schon pralle ich mit dem Herzog zusammen und schon schaukeln wir im Kampf. Er so groß, ich so klein, er so breit, ich so

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