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Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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denn?
    WÄCHTER: Mit den seligen Vorfahren.
    FÜRST: Das verstehe ich nicht. Hast du schwere Träume?
    WÄCHTER: Keine Träume - schlafe ja keine Nacht.
    FÜRST: Dann erzähle also von diesen - diesen Ringkämpfen.
    WÄCHTER schweigt.
    FÜRST zum Kammerherrn: Warum schweigt er?
    KAMMERHERR eilt zum Wächter: Es kann ja jeden Augenblick mit ihm zu Ende sein.
    FÜRST steht beim Tisch.
    WÄCHTER als ihn der Kammerherr berührt: Weg, weg weg! Kämpft mit den Fingern des Kammerherrn, wirft sich dann weinend hin.
    FÜRST: Wir quälen ihn.
    KAMMERHERR: Womit?
    FÜRST: Ich weiß nicht.
    KAMMERHERR: Der Weg ins Schloß, die Vorführung, der Anblick Eurer Hoheit, die Fragestellung - dem allen hat er nicht mehr genug Verstand entgegen zu setzen.
    FÜRST sieht immerfort nach dem Wächter hin: Das ist es nicht. Geht zum Ruhebett, beugt sich zum Wächter, nimmt dessen kleinen Schädel zwischen die Hände. Mußt nicht weinen. Warum weinst du denn? Wir sind dir wohlgesinnt. Ich selbst halte dein Amt nicht für leicht. Gewiß hast du dir Verdienste um mein Haus erworben. Also weine nicht mehr und erzähle.
    WÄCHTER: Wenn ich mich aber vor dem Herrn dort so fürchte - sieht den Kammerherrn drohend, nicht furchtsam an.
    FÜRST zum Kammerherrn: Sie müssen fortgehn, wenn er erzählen soll.
    KAMMERHERR: Sehen Sie doch, Hoheit, er hat Schaum vor dem Mund, ist schwerkrank.
    FÜRST zerstreut: ja, gehen Sie, es dauert nicht lange.
    Kammerherr geht.
    FÜRST Setzt sich auf den Rand des Ruhebettes.
    Pause.
    FÜRST: Warum hast du dich vor ihm gefürchtet.
    WÄCHTER auffallend gesammelt: Ich habe mich nicht gefürchtet. Vor einem Diener mich fürchten?
    FÜRST: Er ist kein Diener. Er ist ein Graf, frei und reich.
    WÄCHTER: Doch nur ein Diener, du bist der Herr.
    FÜRST: Wenn du es so willst. Du selbst sagtest aber, daß du dich fürchtest.
    WÄCHTER: Ich habe Dinge vor ihm zu erzählen, die nur du erfahren sollst. Habe ich nicht schon zu viel vor ihm gesagt?
    FÜRST: Wir sind also Vertraute und ich habe dich doch heute zum ersten Mal gesehn.
    WÄCHTER: Gesehn zum ersten Mal, aber seit jeher weißt du, daß ich das gehobener Zeigefinger wichtigste Hofamt habe. Du hast es ja auch öffentlich anerkannt, indem du mir die Medaille >Feuerrot< verliehen hast. Hier! Hebt die Medaille vom Rock.
    FÜRST: Nein, das ist eine Medaille für fünfundzwanzigjährige Hofdienste. Die hat dir noch mein Großvater gegeben. Doch werde auch ich dich auszeichnen.
    WÄCHTER: Tue, wie es dir gefällt und der Bedeutung meiner Dienste entspricht. Dreißig Jahre diene ich dir als Gruftwächter.
    FÜRST: Nicht mir, meine Regierung dauert kaum ein Jahr.
    WÄCHTER in Gedanken: Dreißig Jahre.
    Pause.
    WÄCHTER sich halb zu der Bemerkung des Fürsten zurückfindend: Nächte dauern dort Jahre.
    FÜRST: Aus deinem Amt kam mir noch kein Bericht. Wie ist der Dienst?
    WÄCHTER: Gleichförmig jede Nacht. Jede Nacht nahe bis zum Platzen der Halsadern.
    FÜRST: Ist es denn nur Nachtdienst? Nachtdienst für dich Alten?
    WÄCHTER: Das ist es eben, Hoheit. Es ist Tagdienst. Ein Faulenzerposten. Man sitzt vor der Haustür und hält im Sonnenschein den Mund offen. Manchmal tappt dir der Wächterhund mit den Vorderpfoten aufs Knie und legt sich wieder. Das ist die ganze Abwechslung.
    FÜRST: Also.
    WÄCHTER nickend: Aber er ist in Nachtdienst umgewandelt worden.
    FÜRST: Von wem denn?
    WÄCHTER: Von den Gruftherren.
    FÜRST: Du kennst sie?
    WÄCHTER: Ja.
    FÜRST: Sie kommen zu dir?
    WÄCHTER: Ja.
    FÜRST: Auch in der letzten Nacht?
    WÄCHTER: Auch.
    FÜRST: Wie war es?
    WÄCHTER setzt sich aufrecht: Wie immer.
    FÜRST steht auf.
    WÄCHTER: Wie immer. Bis Mitternacht ist Ruhe. Ich liege - verzeihe mir - im Bett und rauche die Pfeife. Im Bett nebenan schläft mein Tochterkind. Um Mitternacht klopft es das erste Mal ans Fenster. Ich sehe nach der Uhr. Immer pünktlich. Noch zweimal klopft es, es mischt sich mit den Uhrenschlägen vom Turm und ist nicht schwächer. Das sind nicht menschliche Fingerknöchel. Aber ich kenne das alles und rühre mich nicht. Dann räuspert es sich draußen, es wundert sich, daß ich trotz solchen Klopfens das Fenster nicht öffne. Möge sich die fürstliche Hoheit wundern! Noch immer ist der alte Wächter da! Zeigt die Faust.
    FÜRST: Du drohst mir?
    WÄCHTER versteht nicht gleich: Nicht dir. Dem vor dem Fenster!
    FÜRST Wer ist es?
    WÄCHTER: Er zeigt sich gleich. Mit einem Schlage öffnen sich Fenster und Fensterladen. Knapp habe ich noch Zeit, meinem

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