Sagen aus Niederösterreich
Tage saß Frau Gertrud trauernd am Grab ihres Ehegatten und weinte bittere Tränen. Sie hatte ihn an der Stelle bestattet, wo sein letzter Kohlenmeiler gebrannt hatte. – Aber das Leben forderte seine Rechte. Mit einigem Werkzeug versehen, zog sie sich in den Wald zurück, wo er am dichtesten und einsamsten war. Hier errichtete sie an einer windgeschützten Stelle in der Nähe eines Quells aus roh zubehauenen Baumstämmen eine einfache Hütte, die nur einen einzigen Wohnraum hatte. Wurzeln und Beeren bildeten ihre Nahrung. Oft vergoß sie Tränen über den Verlust ihres Ehegatten und haderte mit ihrem traurigen Los. Aber je mehr sie grübelte und nachdachte, desto mehr verbitterte sich ihr Gemüt, bis sie zuletzt, alles verfluchend, was ihr bisher heilig war, mit dem Teufel einen Bund schloß.
So war aus dem ehrsamen Weibe eine alte Hexe geworden, die von allen Leuten gemieden wurde. Nur wer sich gar keinen Rat mehr wußte und der Verzweiflung nahe war, suchte sie auf, um ihren Sprüchen zu lauschen oder heilsame Tränklein und Pflaster zu holen, wofür sie mit Feldfrüchten und anderen Lebensmitteln bezahlten; denn die alte Hexe scheute das Geld, seitdem ihr Mann darum Leib und Seele verloren hatte.
Doch zu gewissen Zeiten im Jahr war die Hexe Gertrud für die Menschen nicht zu sprechen. Es war dies zu Walpurgis, Johanni oder zur Weihnachtszeit; denn da hielten die Hexen mit dem Teufel ihre Zusammenkunft ab, bei der Gertrud nicht fehlen durfte. Wem also sein Leben lieb war, der mied es, um diese Zeit den Bannkreis des Kollmitzberges zu betreten.
Eines Tages kamen wieder Leute zur Hütte der Hexe, um ihren Rat einzuholen, aber sie fanden die Hütte verschlossen. Das Dach lag auf der Erde neben der Quelle. Als man die Tür der Behausung aufbrach, flüchteten viele Mäuse aus der Stube, die Leiche der Hexe aber lag, fast bis auf die Knochen abgenagt, unter dem Herdloch am Boden.
Seit dieser Zeit wurde der Wald, der nach der Hütte der Hexe den Namen »Die öde Stube« erhielt, von allen Bewohnern gemieden.
Das Melker Kreuz
Die Schatzkammer des Stiftes Melk enthält als wertvolles Schaustück seit Jahrhunderten ein kostbares goldenes Kreuz, das kunstvoll gearbeitet und mit Perlen und Edelsteinen reich verziert ist. In seiner Mitte befindet sich ein Splitter vom Kreuz Christi.
Im Jahre 1170 herrschte im Stift große Trauer; Abt und Konvent waren in höchster Erregung: das goldene Kreuz war verschwunden. Lange Zeit blieben alle Nachforschungen nach seinem Verbleib erfolglos. Endlich wurde es ausfindig gemacht Um die Echtheit des Kreuzes festzustellen, schlugen Schiedsrichter eine Prüfung vor.
Das Kreuz sollte in ein Boot gelegt und dieses den Wellen der Donau anvertraut werden. Schwimme der Kahn von selbst stromaufwärts gegen Melk, so sei die Echtheit des Kreuzes erwiesen. Und wirklich geschah ein Wunder. Das Boot trieb der starken Strömung zum Trotz langsam flußaufwärts dem Kloster zu.
Abt Sieghard nahm freudig das Heiligtum in Empfang und brachte es unter dem Jubel des Volkes in das Kloster Melk zurück.
Das metallene Käuzlein von Rauhenstein
Es ist wohl schon lange her, da hauste auf der Burg Rauhenstein bei Baden ein Ritter Wolf, der eine tapfere Klinge führte und vor den verwegensten Taten nicht zurückschreckte, der aber ein so rauhes Gemüt und ein so steinernes Herz hatte, daß man ihn nicht den »Rauhensteiner«, sondern den »rauhen Stein« hieß. Mächtig und kühn wie er war, meinte er, gegen den Armen und Niedrigen sei ihm alles erlaubt, besonders wenn ein solcher seinen Zorn auf sich gezogen hatte.
Da wagten es einmal zwei Badener Bürgersöhne in den Forsten des Ritters ein Stück Wild zu erlegen. Sie wurden dabei ertappt, vor den Ritter gebracht und nach kurzem Verhör in den Turm geworfen. Ihre Tat sollten sie mit dem Tod büßen.
Der alte Vater der beiden Gefangenen war ein reicher Mann und bot dem Schloßherrn ein hohes Lösegeld an, wenn seine Söhne begnadigt und in Freiheit gesetzt würden. Aber der Ritter war reich genug, um dieses Angebot abzulehnen. Darüber geriet der Alte in größte Erbitterung und brach in wilde Verwünschungen aus. Nun wandte sich der Zorn des stolzen Ritters auch gegen den unglücklichen Greis, und er ließ ihn ebenfalls in den Kerker werfen.
Da aber der greise Bürger ein kunstfertiger Glockengießer war, wie man einen zweiten nicht so leicht finden konnte, legte sich die Badener Bürgerschaft ins Mittel und erhob für den Alten und seine beiden Söhne
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