Sagen des klassischen Altertums
ihre Kinder, die Winde, flogen auf ihr Geheiß herunter auf die Ebene, ergriffen den Leib des Erschlagenen und entführten ihn durch die Lüfte aus den Händen seiner Feinde. Nichts blieb von ihm auf der Erde übrig als die Blutstropfen, die herabträufelten, während er von den Winden emporgetragen ward. Daraus wurde ein blutiger, unversieglicher Strom, der in späten Tagen noch am Fuße des Ida jedesmal am Todestage des Memnon flüssig wurde und mit Modergeruch dahinfloß. Die Winde hielten sich mit dem Leichnam nicht allzuhoch über der Erde und flogen mit ihm in der Quere dahin; die Äthiopier aber, die sich von dem erschlagenen Beherrscher nicht trennen wollten, folgten unten mit einem tiefen Stöhnen, bis jene den staunenden Troern und Argivern mit der Leiche aus den Augen schwanden. Die Winde setzten den Leichnam am Ufer des Flusses Aisepos nieder, dessen Töchter, anmutige Jungfrauen, ihm in einem lieblichen Haine ein Grabmal errichteten, wo ihn seine vom Himmel herabgestiegene Mutter Eos mit vielen andern Nymphen unter heißen Tränen bestatten half.
Auch die Troer, in ihre Stadt zurückgekehrt, beklagten den hohen Memnon herzlich. Die Argiver selbst empfanden keine ungetrübte Freude: sie priesen zwar den Sieger Achill, den Stolz des Heeres, aber sie weinten auch mit Nestor um seinen lieben Sohn Antilochos; und so durchwachsen sie unter Schmerz und Lust die Nacht auf dem Schlachtfelde.
DER TOD DES ACHILL
Am andern Morgen trugen seine Volksgenossen, die Pylier, den Leichnam ihres Königssohnes Antilochos unter Wehklagen hinweg zu den Schiffen und bestatteten ihn dort an den Ufern des Hellesponts.
Der greise Nestor aber blieb fest in seinem Gemüt und bewältigte den Schmerz durch Besonnenheit. Achill jedoch rastete nicht. Sein Grimm über den Tod des Freundes jagte ihn mit Tagesanbruche unter die Trojaner, die auch schon kampflustig ihre Mauern verlassen hatten, obgleich sie vor dem Speere des göttergleichen Achill bebten. Bald wurde der Kampf wieder allgemein; der Held erschlug eine Unzahl von Feinden und verfolgte die Trojaner bis vor die Stadt. Hier, seiner übermenschlichen Kraft sich bewußt, schickte er sich an, die Torflügel aus den Angeln zu heben, die Riegel zu öffnen und den Griechen die Stadt des Priamos aufzutun.
Aber Phöbos Apollo, der vom Olymp herab den unermeßlichen Haufen Erschlagener überschaute, fing an, ihm unerbittlich zu zürnen. Wie ein reißendes Tier stieg er vom Göttersitze hernieder, den Köcher mit den unheilbar tötenden Pfeilen auf dem Rücken. So trat er dem Peliden entgegen; Köcher und Pfeile klirrten, sein Auge flammte, unter dem Wandelnden erbebte der Boden. Und nun, dem Helden im Rücken, ließ er seine furchtbare Stimme erschallen: »Laß von den Dardanern ab, o Pelide, wüte nicht so rasend! Hüte dich, daß nicht einer der Unsterblichen dich verderbe!« Achill kannte die Stimme des Gottes wohl; aber er ließ sich nicht einschüchtern, und ohne die Warnung zu beachten, rief er ihm laut entgegen: »Was willst du mich reizen, mit Göttern zu kämpfen, indem du immerdar die Frevler, die Trojaner, begünstigst? Schon einmal hast du mich in Zorn gebracht, als du mir zum erstenmal Hektorn entrissest. Nun rate ich dir, entweiche fern zu den andern Göttern, daß dich mein Speer nicht treffe, obwohl du unsterblich bist!«
Mit solchen Worten wandte er sich von Apollo ab, den Feinden wieder zu. Der zürnende Phöbos aber verhüllte sich in ein schwarzes Gewölk, legte einen Pfeil auf seinen Bogen und schoß aus dem Nebel den Peliden in die verwundliche Ferse. Ein stechender Schmerz durchfuhr auf der Stelle den Achill bis ans Herz hinan, und wie ein unterhöhlter Turm stürzte er plötzlich zu Boden. Liegend spähte er rings um sich her und schrie mit schneidendem, furchtbarem Tone: »Wer hat mir aus der Ferne den tückischen Pfeil zugeschickt?
O daß er mir im offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm sein Gedärm aus dem Leibe zerren und all sein Blut vergießen, bis seine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber aus dem Verborgenen stellen die Feiglinge dem Tapfern immer nach! Wisse er dies, und wenn es ein Gott wäre, der mir zürnt. Denn wehe, mir ahnet, daß es Apollo sei. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einst geweissagt, daß ich am Skäischen Tore dem verderblichen Pfeil des Phöbos erliegen werde, und wohl hat sie die Wahrheit gesprochen!«
So stöhnte der Held und zog den Pfeil aus der unheilbaren Wunde. Zornig schleuderte er ihn weg, als er das
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