Sagen des klassischen Altertums
der Leib des Peliden wurde mit warmem Wasser abgewaschen und mit schönen Gewändern umhüllt, die ihm seine Mutter Thetis mit auf den Zug gegeben hatte. Als er nun so im Zelte niedergelassen dalag, warf Athene vom Olymp herab einen mitleidigen Blick auf ihren Liebling und träufelte ihm aufs Haupt einige Tropfen Ambrosia, von dem Götterbalsam, von dem es heißt, daß er die Toten vor Entstellung und Verwesung bewahre. Dadurch machte sie ihn frisch und einem Lebendigen ähnlich. Auf die Stirne legte sie ihm den schrecklichen Ausdruck, von dem sein Antlitz beseelt war, als er über den Tod seines geliebten Patroklos zürnte, und dem ganzen Leibe verlieh sie ein schönes und lebensvolles Ansehen. Alle Argiver, welche ihn zu sehen kamen, ergriff Staunen, wie der Held in riesiger Größe, schön und herrlich auf dem Lager ruhte, als läge er da in friedlichem Schlummer und würde nun bald wieder erwachen.
Die laute Wehklage der Griechen um ihren größten Helden drang auch in die tiefe See zu seiner Mutter Thetis und den übrigen Töchtern des Nereus, die dort wohnten. Ungeheurer Schmerz durchdrang ihre Gemüter, und sie stöhnten so jammervoll, daß der Hellespont widerhallte. Voll Begierde eilten sie nächtlicherweile in Scharen durch die sich vor ihnen teilende Meerflut herauf an den Strand, wo die Schiffe der Griechen standen. Alle Ungeheuer des Meeres stöhnten mit ihnen; sie aber nahten wehklagend dem Leichnam, und Thetis umschlang ihr Kind mit den Armen, küßte ihn auf den Mund und weinte, daß der Boden naß wurde von ihren Tränen. Die Danaer aber wichen mit ehrfurchtsvollem Grausen zurück vor den meerentstiegenen Göttinnen und nahten sich dem Leichname erst wieder, als jene sich entfernt hatten und der Morgen anbrach. Da trugen sie unzählige Bäume vom Berge Ida herab, türmten sie hoch auf, legten auf den Scheiterhaufen die Rüstungen vieler Erschlagenen, geschlachtetes Opfervieh, Gold und edle Metalle; 224
Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
die Helden der Griechen schnitten ihr Haar ab, und auch Brisëis, die geliebte Sklavin des Toten, brachte die Locken als letztes Geschenk ihrem Gebieter dar. Dann gossen sie viele Krüge Öles über das aufgeschichtete Holz als Trankopfer, stellten Schalen mit Honig und lieblichem Weine, welcher wie Nektar duftete, auch mit edlen Gewürzen gefüllt, in das Gerüste; zuoberst auf den Holzstoß wurde der Leichnam gelegt. Darauf machten sie in voller Waffenrüstung zu Roß und zu Fuß die Runde um den düstern Scheiterhaufen. Nun wurde dieser angezündet, und die verzehrenden Flammen schlugen unter dem Wehklagen der Krieger empor. Äolos aber sandte auf Zeus' Befehl seine schnellsten Winde, die mit Sturmhauch in die aufgeschichteten knisternden Bäume fuhren, daß die Glut in wenigen Stunden den Holzstoß mitsamt dem Leichnam in Asche verwandelte. Die letzten Flammen löschten sie mit Weine. Da lagen die Gebeine des Helden wie die Knochen eines Giganten, getrennt von allem, was zugleich mit ihnen verbrannt worden war.
Seine Genossen sammelten dieselben seufzend und legten sie in einen geräumigen, aus Silber und Gold gehämmerten Kasten, der auf der erhabensten Stelle des Gestades neben seines Freundes Patroklos Gebein in die Erde gesenkt und mit einem hohen Grabhügel überdeckt wurde.
Auch die unsterblichen Rosse des Helden ahneten seinen Fall; sie rissen die Stränge los, mit welchen sie angebunden waren, und wollten nicht länger die Mühseligkeiten der Menschen teilen. Nur mit Mühe wurden sie von den Freunden des Gefallenen eingeholt und ihr Kummer beschwichtigt.
LEICHENSPIELE ZU EHREN ACHILLS
Auch zu Troja wurde in diesen Tagen eine Totenfeier begangen: der Lykier Glaukos, der treue Bundesgenosse der Trojaner, der im letzten Kampfe gegen die Griechen gefallen war und dessen Leichnam seine Freunde aus den Händen der Feinde gerettet hatten, wurde verbrannt und bestattet.
Am folgenden Tage erhub sich Diomedes, der Sohn des Tydeus, in der Versammlung der griechischen Helden mit dem Rate, jetzt im Augenblicke, ehe die Feinde Mut aus Achills Tode schöpften, mit Wagen, Roß und Mann gegen die Stadt anzurücken und dieselbe zu erstürmen. Aber gegen ihn stand Ajax, der Sohn Telamons, auf: »Wäre es auch recht«, sprach er, »die erhabene Meeresgöttin, die um den Tod ihres Sohnes trauert, zu kränken und nicht vor allen Dingen herrliche Spiele um das Grabmal ihres Sohnes zu feiern? Sie selbst, als sie gestern an mir vorüber ins Meer
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