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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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in seinen Palast begab sich die Göttin. Sie suchte hier das Schlafgemach Nausikaas auf, der jungfräulichen Tochter des Königes, die an Schönheit und Anmut einer Unsterblichen ähnlich war. Diese schlief, von zwei Mägden, die ihre Bettstellen an der Pforte hatten, bewacht, in einer hohen, lichten Kammer. Athene nahte sich dem Lager der Jungfrau leise wie ein Lüftchen, trat ihr zu Häupten, und in eine Gespielin verwandelt, sprach sie zu ihr im Traume: »Ei du träges Mädchen, wie wird 282
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    dich die Mutter schelten! Hast du doch gar nicht für deine schönen Gewande gesorgt, die ungewaschen im Schranke liegen! Wenn nun einmal deine Vermählung herankommt und du etwas Schönes für dich selbst brauchst und für die Jünglinge, die deine Brautführer sein werden! Wie soll es dann werden? Schmucke Kleider empfehlen jedermann, und auch deine lieben Eltern haben an nichts eine größere Freude! Auf, erhebe dich mit der Morgenröte, sie zu waschen; ich will dich begleiten und dir helfen, damit du geschwinder fertig wirst. Du bleibst doch nicht lange mehr unvermählt; werben doch schon lange die Edelsten unter dem Volke um die schöne Königstochter!«
    Der Traum verließ das Mädchen; eilig erhob sie sich vom Lager und suchte die Eltern in ihrer Kammer auf. Diese waren bereits aufgestanden; die Mutter saß am Herde mit Dienerinnen und spann purpurne Seide, der König aber begegnete ihr unter der Pforte; er hatte schon einen Rat der angesehensten Phäaken bestellt und wollte sich eben in denselben verfügen. Da faßte ihn die ihm entgegenkommende Tochter bei der Hand und sprach schmeichelnd: »Väterchen, willst du mir nicht einen Lastwagen anspannen lassen, damit ich meine kostbaren Gewande zur Wäsche nach dem Flusse fahren kann? Sie liegen mir so schmutzig umher. Auch dir ziemt es, in reinen Kleidern im Rate dazusitzen. So wollen auch deine fünf Söhne, von welchen drei noch unvermählt sind, beständig in frischgewaschener Kleidung umhergehen und fein schmuck beim Reigentanz erscheinen. Und am Ende liegt doch alles auf mir!«
    So sprach die Jungfrau; daß sie aber an die eigene Vermählung dabei denke, das mochte die Blöde sich und dem Vater nicht gestehen. Dieser aber merkte es doch und sprach: »Geh, mein Kind, ein geräumiger Korbwagen und Maultiere sollen dir nicht versagt sein; befiehl den Knechten nur, anzuspannen!« Nun trug die Jungfrau die feinen Gewande aus der Kammer und belud den Wagen; die Mutter fügte Wein in einem Schlauche, Brot und Gemüse hinzu, und als sich Nausikaa in den Wagensitz geschwungen, gab sie ihr noch die Ölflasche mit, sich zugleich mit den dienenden Jungfrauen zu baden und zu salben. Die Jungfrau war eine geschickte Wagenlenkerin, sie ergriff selbst Zaum und Geißel und lenkte die Tiere mit den Dienerinnen dem anmutigen Ufer des Flusses zu. Hier lösten sie das Gespann, ließen die Maultiere im üppigen Grase weiden und trugen die Gewande am Waschplatz in die geräumigen Behälter, die zu diesem Behufe gegraben waren. Dann wurde von den emsigen Mädchen die Wäsche mit den Füßen gestampft, gewaschen und gewalkt, und endlich wurden alle Kleider der Ordnung nach am Meeresufer ausgebreitet, wo reingespülte Kiesel eine Steinbank bildeten. Alsdann erfrischten sich die Mädchen selbst im Bade, und nachdem sie sich mit duftigem Öle gesalbt, verzehrten sie das mitgebrachte Mahl fröhlich am grünen Ufer und harrten, bis ihre Wäsche an den Sonnenstrahlen getrocknet wäre.
    Nach dem Frühstücke erlustigten sich die Jungfrauen mit Tanz und Ballspiel auf der Wiese, nachdem sie ihre Schleier und was von Kleidern sie hindern konnte, abgelegt. Nausikaa selbst stimmte zuerst den Gesang dazu an, an hohem Haupt und edlem Angesichte vor allen den reizenden Mädchen hervorragend. Die Jungfrauen taten ihr alle nach, und ihre Fröhlichkeit war groß. Wie nun die Königstochter einmal den Ball nach einer Gespielin warf, da lenkte ihn die unsichtbar gegenwärtige Göttin Athene so, daß er in die Tiefe des Flußstrudels fallen mußte und das Mädchen verfehlte. Darüber kreischten die Spielenden alle auf, und Odysseus, dessen Lager in der Nähe unter den Olivenbäumen war, erwachte. Horchend richtete er sich auf und sprach zu sich selber: ›In welcher Menschen Gebiet bin ich gekommen? Bin ich unter wilde Räuberhorden geraten? Doch deucht mir, ich hörte lustige Mädchenstimmen, wie von Berg- oder Quellennymphen! Da bin ich doch wohl in der Nähe

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